Fast hatte ich es vergessen. Zu lang ist es her, dass ich selbst im Fahrer- und Fahrerinnenfeld, der am Freitagnachmittag gen Heimat strebenden Automobilisten meinen Platz auf der Autobahn verteidigte. Als Mitglied dieses eilenden Völkchens, das am Freitag einfach nur nach Hause möchte. „Aus dem Weg, ihr Wohnmobilisten und Caravanschleicher, ihr im letzten Augenblick zum Überholen ansetzenden Lastkraftwagenkapitäne!“ Ich „sause“ am Freitagnachmittag mit dem Fliegenden Holländer auf der A31 in Richtung Emsland und wundere mich über „Drängler, Drücker & Treiber“ auf der linken Spur. Dabei vergesse ich fast, dass ich die Disziplin des „Anschiebens“ seinerzeit selbst perfekt beherrschte. „Wir waren jung und brauchten die Zeit.“ – So, Ende der Philosophiestunde.

AS Dörpen. Ich bremse den Flying Dutchman in der Ausfahrt der Anschlussstelle 17 von schwindelerregenden 85 Km/h auf moderate 50 Stundenkilometer herunter. Das Frollein und ich sind mal wieder auf dem Weg nach Sustrum. Platz 20 haben wir reserviert und schon sind wir da. Eingeparkt, abgekoppelt, den Antara zur Seite gestellt und nur noch eben den Wohnwagen um 180° gedreht. Hauruck! Nichts rührt sich. Hauruck! Hauruck! Pustekuchen. Im durch den Regen der vergangenen Tage aufgeweichten Boden geht nichts. Nicht nach links und rechts, aber in die Tiefe der Grasnabe. Wir schaukeln uns ins Erdreich. Hilfe naht vom Nachbarplatz und schon klappt´s. Auch und gerade mit dem Nachbarn. (Eingeweihte erinnern sich eventuell an die „Somat-Werbung“) Die Wolken hängen tief. Ich lasse das zierende Beiwerk im Auto. Tisch und Stühle danken es mir, denn es beginnt zu regnen.
„Sich regen bringt Segen, Luna. Zieh´ Dein Goretexfell an und lass´ uns wandern.“ Luna ist nicht annähernd belustigt. Dennoch überqueren wir die Ems, blicken gen Sustrum in den tiefen, regenverhangenen Himmel und denken uns: „Sei´s drum, Sustrum, wir kehren um.“

Nicht nur, dass es inzwischen früher dunkelt, es kühlt auch mehr. Wir liegen mit fliegengitterverhangener Tür auf Reede und uns wird kalt. Und hätte ich dem Frollein kein Trockenfutter gegeben, so hätte ich den Wohnwagen schließen können. Doch augenblicklich ist es ratsamer, für Frischluftzufuhr zu sorgen. Die Kleine Münsterländerin hat Verdauungsproblemchen. Problemchen? – Nein, Probleme!

„Licht aus, Ruhe im Haus, Geister auf Station!“ Ich denke an Onkel Ernst, den Herbergsvater des einstigen Kreisjugendheims in Torfhaus/Harz. Mit diesem Spruch läutete er allabendlich die Nachttruhe ein. Das Frollein und ich schlafen in Begleitung der sanft auf das Dach fallenden Regentropfen ein. Und wachen am nächsten Morgen mit ihnen auf. Man kann nicht alles haben, aber frische Brötchen, die lasse ich mir nicht nehmen. Wir frühstücken ausgiebig. Dem Regen gefällt´s, er begleitet uns weiterhin. Luna hat sich unter den Tisch verzogen und träumt von Nachbars Katze, die wieder einmal etwas Bewegung in Form eines Münsterländischen Konditionstrainings bräuchte, so meine ich es ihrem zufriedenen Gesichtsausdruck zu entnehmen.

Ich greife zum Buch. Lars Brandt. „Andenken“. Eine Geschichte zwischen Vater und Sohn. Jörg gab es mir mit auf den Weg. „Falls Euch das Wetter einmal einen Strich durch die Rechnung macht“, lachte er dabei. Warte bis wir zurück sind, lieber Jörg.

Da! Die Sonne. Sie schafft es durch den wolkenverhangenen Himmel einige Strahlen zur Erde zu schicken. Und während ich dies schreibe, da ist´s auch schon wieder vorbei. Jetzt wird es auch noch kühl an Bord. Wenn das so weiter geht, dann besorge ich uns Glühwein oder werde die Heizung aktivieren müssen. Ersteres würde mir sehr gut gefallen, doch letzteres wird wohl in die Tat umgesetzt werden, denn wir haben keinen Glühwein gebunkert und das Auto habe ich zwischen Hecke, Wohnwagen und Sonnensegel „eingemauert“. Es gibt kein vor oder zurück. Das Minirad habe ich auch nicht dabei.

Wir wollen an diesem Wochenende an der Ems wandern. Nun wird es wohl mehr ein kneippsches Wassertreten werden. Doch, „was stört es eine deutsche Eiche, wenn sich ein Seehund an ihr reibt.“ „Pack die Badehose ein, nimmt das kleine Lunalein und dann nichts wie raus nach Sustrum!“ – Wirklich? Nein, wir bleiben in der Kajüte. „Magst Du auch ein Jever Fun, Luna?“

Vor dem Wohnwagen, unserem Wasserschlösschen ohne idyllischem Biergarten, dafür mit einer parkähnlichen Geländegestaltung und einem Sonnensegel, trotzt eine Ringeltaube dem Regenwetter und sucht Futter. Komisch, ich dachte, die bekleckern nur Haus und Hof, gurren ständig herum und wenn sie nicht gerade in den Vorbereitungen zu einer ihrer bis zu vier Jahresbruten stecken, dann flattern sie in den Bäumen und sabotieren die mittäglich-menschliche Entspannungsphase.
Das Schnattern der Emsländer Enten rückt näher. Hat die Ems ihr Flussbett inzwischen verlassen und trachtet danach, unseren Fliegenden Holländer zu Wasser zu lassen? Wenn ich an die gestrigen Strapazen beim Wenden des gewichtigen Flying Dutchman denke, dann wird dies der guten alten Ems nicht gelingen. Vorsichtshalber schaue ich dennoch aus der Kabine: kein Grund zur Besorgnis. Die Enten schwimmen in gut 20 Meter Entfernung zum Wohnwagen und das Wasser der Ems fließt dort, wo es soll.
Und das Wasser vom Himmel und aus den Wolken? Es regnet nicht mehr! Luna, es geht los! Das Frollein ist schneller draußen als ich in meiner Jacke. Wir nutzen den Morgen und laufen zur Schleuse bei Düthe. Die Stockenten sind „schnatterfidel“ und genießen es sichtlich, endlich einmal nur von unten nass zu werden. Luna erspäht alle möglichen Feld-, Wald- und Wiesenbewohner. Und ich? Ich habe das 50 mm Objektiv „aufgesetzt“. So beobachten wir aus der Ferne und können uns weiter kein digitales Bild machen.

Wir kehren langsam zum „Emstal“ zurück und haben gerade das schützende Sonnensegel erreicht, da beweist uns dieses, dass es durchaus auch zum Regensegel taugt. Über uns ergießt sich ein Wolkenbruch, wie er seinesgleichen sucht. Binnen kürzester Zeit brechen Wassermassen über uns herein, die man an der Grenze zwischen dem US-amerikanischen Bundesstaat New York und der kanadischen Provinz Ontario auch als Niagarafälle bezeichnet. Selbst durch die nur leicht aufgestellte Dachluke des Fliegenden Holländers versucht dieses Unwetter, uns zu ersäufen. Ich denke an die Enten in Düthe. Hoffentlich ertrinken die nicht!

Um 14.00 Uhr beruhigt sich die Wetterlage. Die Lenz- und Bilgepumpen arbeiten wieder im Routinebetrieb und wir wagen einen neuen „Reviergang“. In Richtung Sustrum geht es links ab in die Botanik. Wir kommen an ein Schöpfwerk und entdecken, nein, keine Fische, aber einen Sprung Rehe. Und welches Objektiv steckt auf der Kamera? Kein Kommentar. Ich meine, Luna verschmitzt lachen zu hören.

Am Nachmittag kreuzt ein Fischer mit seinem Boot auf der Ems. Ich weiß nicht, ob er tatsächlich die Absicht hat, Fische zu fangen. In seinem Boot bellt, nein keift, ohne Unterlass ein Hund. Warum denke ich ans Kielholen?
Inzwischen habe ich mich durch die 156 Seiten des „Andenkens“ von Lars Brandt gelesen. Geschmacksache. Nicht das Lesen, mehr das Werk. Er zeichnet als Erzähler, weniger als Sohn, das Portrait seines Vaters Willy Brandt. Und wenn Franziska Augstein dieses als ein „amüsantes wie anrührendes“ Bildnis bezeichnet, so sieht sie dies mit ihren Augen und aus ihrem persönlichen Blickwinkel. Nicht mit und aus meinem.

Es dämmert. Schüsse aus der Nähe des Schöpfwerkes, das wir am Nachmittag besuchten. Ich erwarte erste Querschläger und befürchte dann, dass diesen Reviergang nicht alle Rehe, die wir heute beobachteten, überlebt haben werden. Es ist Jagdzeit in Niedersachsen. Rehwild (Kitze, Schmalrehe, Ricken und Böcke) lebt gefährlich. Auch im beschaulichen Emstal.

Ich wache auf. Ein Paar bernsteinfarbene Augen bohren sich in mein Kopfkissen. Luna sitzt vor meinem Bett und macht mir deutlich, dass sie unbedingt vor die Tür muss. Natürlich! Es ist ja auch bereits 2.17 Uhr. – Wir stehen im nächtlich feuchten Gras. Ich habe den Kopf in den Nacken gelegt und betrachte den üppigen Sternenhimmel. Luna steht neben mir und vor. Ihr langgestreckter Körper deutet in Richtung „Alte Ems“, einem kleinen Nebenarm des 371 Km langen Flusses. – Enten! „Mach´ die Jägerprüfung. Besorg´ Dir ein Gewehr. Wir haben Arbeit!“ Luna übermittelt mir diese Nachricht natürlich rein telepathisch.
„Naaat-Naaat, naat-naat-naat.“ Ein Trupp spätheimkehrender Erpel gleitet zischend auf seinen schwimmhautbewehrten Ruderfüssen über die Wasseroberfläche und sucht Deckung in der Uferböschung. Leichtes, aufgeregtes Geschnatter setzt ein. „Es tut mir leid, Liebling. Ist etwas später geworden. Man bot unserem Männergesangverein nach der heutigen Probe ein Engagement im Augustiner Zelt auf dem Münchner Oktoberfest an. Fast hätten wir zugesagt, aber unser Notenwart erinnerte uns schließlich daran, dass nicht nur Wiesn Hendl ganz oben auf den Speisekarten in den Festzelten stehen.“ So ähnlich mag das „Gespräch“ am Ufer verlaufen sein. Diese Enten! Um keine Ausrede verlegen und dann auch noch Betroffenheit ergaunern.
„Warum stehen wir hier eigentlich, mein Frollein?“ „Weiß ich doch nicht. Du bist doch nach draußen gegangen.“ 3.00 Uhr läutet es vom Sustrumer Kirchturm durch das Emstal. 3.30 Uhr. 4.00 Uhr. Was gibt es schöneres, als mit eiskalten Füssen nicht einschlafen zu können? Ich denke an Willy Brandt, der nach durchgearbeiteter Nacht schon mal ein Pils zum Frühstück nahm. Mit diesem friesisch-herben Gedanken schlafe ich ein. Als ich die Augen öffne, schiele ich. Ca. 10 Zentimeter vor mir erblicke ich die feuchte Schnauze meiner nächtlichen Sternenguckerin. „Ja, Luna. ich habe Dich auch sehr lieb!“ Es ist 6.56 Uhr. Höchste Zeit den Sonntagmorgen zu genießen, nicht wahr? Als wir mit dem Frühstück durch sind, fällt mir ein, dass ich die bestellten Brötchen nicht abgeholt habe. Dann gibt´s die eben zum Mittag. Vielleicht mit einem alkoholfreien Jever Fun aus der König Pilsener Flasche?

Mittag im Emstal fällt aus. Gleich zu Beginn unserer Fotosafari in Richtung Dortmund-Ems-Kanal kündigen uns die Wolken an, dass es noch einen geben wird. Nein, keine Lokalrunde. Einen Regenschauer. Wir eilen zurück, packen unsere Siebensachen und starten durch in Richtung Heimat. In Westerstede begrüßt uns Nieselregen. Wir lachen. – Das soll Regen sein?
Hallo Ronald,
habe per Zufall diese Seite gefunden und den Bericht gelesen – mit einem Lächeln, weil ich ab dem 05.10.15 auch auf diesem CP, sogar auf dem Platz Nr. 20 (!) 1-2 Wochen verbringen werde zum Relaxen, Fahrradfahren, Wandern und zu was auch immer …
Meine Luna heisst aber Sam und ist ein schon betagter Bearded Collie.
Wir werden’s bestimmt geniessen.
Gruß
Werner
Hallo Werner,
vielen Dank für Deinen Kommentar. Ich wünsche Dir gute Erholung und viel Freude in Sustrum. Ich denke, es wird Dir und Sam gefallen. Selbst ein Regenschauer kann im Emstal unheimlich zur Entspannung beitragen. Bitte grüß´ mir die Familie Sandker recht herzlich.
Viele Grüße aus usA (unserem schönen Ammerland)!
Ronald