Wo ist Eduard?

Familienforschung. Nach einem vor einem Jahr eher zufälligen Einblick in eine auffallend gut organisierte „Bibliothek“ an Kirchenbüchern, wurde es für mich zu einer Herausforderung, meine Vorfahren in Österreich/Steiermark zu finden. Die Vorarbeit dazu hatte in den 1970er Jahren mein Großvater aus Rottach-Egern am Tegernsee geleistet. Seine gesammelten Unterlagen bekam ich von meinen Vater. Ich ahnte nicht, dass diese Dokumente einen Bazillus tragen: Magna curiositas. – Die große Neugierde.

Aus Meyers Lexikon, 7. Auflage, 11. Band, 1929

Inzwischen recherchiere ich seit vielen Monaten. Das Zentrum meiner „Forschungsarbeit“ ist die Steiermark. Tschechien im Norden Österreichs, die Slowakei und Ungarn im Osten, Slowenien und Italien im Süden sowie die Schweiz und Liechtenstein kommen für meine Erkundigungen nicht in Frage. – Naja, Slowenien kann ich heute nicht mehr so ganz außen vor lassen.

Ausschnitt aus Meyers Lexikon 7. Auflage, 9. Band, 1928

Bei meinen Erkundigungen bewege ich mich überwiegend im ehemaligen Herzogtum Steiermark, das einst größer als die heutige Steiermark war. Intensiv habe ich die Kirchenbücher für das Gebiet links und rechts der Mur zwischen Stadl an der Mur und St. Lorenzen bei Knittelfeld befragt. Dabei hat sich herausgestellt, dass St. Georgen ob Murau und die Gegend um den „Winkel“ Stallbaum in der Nähe des Rantenbachs und heute an der B96 gelegen, mir „so einiges zu erzählen haben“.

Nicht ganz einfach zu lesen: Am 26. Januar 1751 wurde die Ehe geschlossen zwischen Anton Stock …

Ich werde nicht zu sehr ins Detail gehen und betone erneut, dass ich nicht auf der Suche nach dem „verschollenen Tafelsilber“ oder nach anderen Reichtümern und Ländereien der Vorfahren väterlicher Seite bin. Vielmehr sind es die persönlichen Schicksale und Geschichten der in den Kirchenbüchern geschilderten Ereignisse, die mich fesseln und stets noch ein wenig tiefer „graben“ lassen. Inzwischen geht es mir nicht mehr nur um die „eigenen, engeren“ Ahnfrauen und Stammväter, die Schicksale der erweiterten Verwandtschaft, ob nun tatsächlich oder lediglich mutmaßlich nahe stehend, liefert schon heute den Stoff zu einer „Alpensaga“.

Hier gab sich jemand Mühe, deutlich zu schreiben

Wo wurde ich fündig? Nachfolgend ein Auszug aus meiner Zeitreise zurück an den Beginn des 17. Jahrhunderts. Ich nenne, um einen kleinen Einblick zu liefern, nur die Kirchenbücher in denen ich bisher „so richtig“ fündig wurde: Donnersbachwald, Fohnsdorf, Judenburg, Kammern, Lassing, Murau, Oppenberg, Predlitz, Ranten, Scheiben, Scheifling, St. Georgen ob Murau, St. Lambrecht, St. Lorenzen ob Scheifling, St. Peter am Kammersberg, St. Ruprecht ob Murau, Stadl an der Mur, Steirisch-Lassnitz, Turrach und Weisskirchen. – Orte, Gemeinden, Pfarreien, Bezirke von denen ich bisher oft nicht einmal ahnte, dass es sie gibt oder einst gab.

In den von mir markierten Pfarreien finden sich Spuren der Ahnen (Auszug aus „Karte Steiermark, Diözese Graz-Seckau“, F. Gundacker 2002-2017)

Ich greife meine einleitende Frage „Wo ist Eduard?“ auf: Es kann kompliziert werden, wenn man sich auf die Suche nach einer ganz bestimmten Person begibt. Alles, was ich heute über Eduard weiß, ist, dass der ledige, röm.-kath. junge Mann am 17. März 1910 an Lungentuberkolose verstarb. Eduard war als Marktarbeiter tätig, wurde zum Ende des 19. Jahrhunderts in D. geboren und ist trotz der mir vorliegenden akkuraten Daten in den Büchern nicht erfolgreicher zu identifizieren und lokalisieren. Verloren, versteckt in oder entschwunden aus den einschlägigen Verzeichnissen der betreffenden Pfarreien.

Meine Notizen wachsen

Nicht zuletzt spielen auch Bezirksreformen in Österreich eine entscheidende Rolle. Heute gehört das Land Steiermark zur Republik Österreich. Doch gab es auch hier vor 1945 Gebietsverluste, Neubildungen, Vergrößerungen, Auflösungen, Wiedererrichtungen, Angliederungen, Rückgliederungen und Verkleinerungen. Da ist es durchaus möglich, dass im Zuge der Reformen selbst eine Geburt oder Eheschließung „übersehen“ worden sein könnte.

„Schmied in …“ kann die Suche erleichtern

In anderen Fällen ist es dank der „Vulgo-Namen“ dann nicht so schwer, einer bestimmten Familie zu folgen. Ein Vulgoname (auch Genanntname), ist ein Name, der aufgrund der Verbindung zu einem Bauernhof, einer Gegend oder dem Beruf, den wirklichen Namen einer Person überlagerte und diesem gern beigefügt wurde. Diese Namen sind vereinzelt bedeutender als der Geburtsname. Trauungen, Taufen, Todesfälle lassen sich so gut verfolgen und selbst die örtliche Veränderung einer Person oder einer Familie ist damit leichter nachvollziehbar.

Mit Glück stößt man auf ein Buch in schönster Handschrift

Ich habe längst meine „familiäre Basis“ entdeckt, bin aber immer noch interessiert, neue Zweige der Familie zu finden. Und tatsächlich, ich werde immer wieder fündig. Oft lässt sich eine 100%ige Verbindung nicht herstellen, aber über die bereits erwähnten Genanntnamen finden sich immer wieder unerwartete Verknüpfungen, die eine familiäre Zusammengehörigkeit nicht unbedingt ausschließen oder Personen näher an oder in den Kreis der „Familie“ rücken lassen.

Viele Kirchenbücher wurden inzwischen gesichtet und ihr Inhalt in einem Index zusammengefasst

Meine urgroßväterlichen Vorfahren waren die „Glaß/Glas am Pichl/Bichl“. Hin und wieder sind sie auch die „Glaßbauern“ oder die „Glaßbäuerin“. Und hatten sie ihren Hof aufgegeben oder an die Nachkommen übergeben, dann waren sie die „gewesene Glaßbäuerin“, der „gewesene Glaßbauer“. Immer wieder auch „der gewesene Glaßbauer und Auszügler“.

In der damaligen Zeit hielt man es mit der korrekten Schreibweise nicht immer so genau. Oft wurden Namen falsch überliefert oder irrtümlich und aus Unkenntnis in falscher Schreibweise dokumentiert. Allein der Nachname Stock findet sich in den Büchern als Stok, Stohk, Stokh und Stök. Und damit es noch ein wenig komplizierter wird: Die Frauen der Familie bekamen gern noch ein „-in“ an den Namen gehängt. So wurde auch meine Großmutter aus Rottach-Egern wie selbstverständlich bis zu ihrem Tod 2000 noch als Maria „Stockin“ bezeichnet und gerufen.

Mein Opa Johann mit seinen Brüdern, meinem Vater und dem „Hannerl“

Ich werde keine verwandtschaftlichen Beziehungen offenlegen. Zu unsicher sind manche Quellen und Überlieferungen. So habe ich den Max(imilian), der angeblich von Maria einen Hof in der Gegend um Murau erwarb, nie gefunden. Es gibt seine Familie an der Mur, wie auch meinen Familiennamen, noch heute, aber „der Max“ tritt zur besagten Zeit nicht in Erscheinung. – Es ist heute auch nicht wichtig, dies zu „ermitteln“.

Mein Vater (Mitte) als „Cowboy“ auf der Sigrizalm. Es gibt sie noch heute

Ich erwähnte, dass bestimmte Ereignisse mich fesseln und immer wieder einmal intensiver suchen lassen. Ich möchte ein wenig verraten: Ein Mann erfriert während der Nacht im Schnee. Zwei Soldaten sterben 1942 lt. Mitteilung des Wehrkommandos an unterschiedlichen östlichen Kriegsschauplätzen. Ein Mann kommt bei einem „Zugzusammenstoß“ ums Leben. Ein Mann fällt beim Schneeräumen vom Dach und stirbt. Eine Frau wird tot aufgefunden. Von ihr kennt man nur den Vornamen und das ungefähre Alter. Ein Mann fällt bei der Arbeit vom Gerüst und verstirbt an den Folgen. Eine ledige Magd bringt mehrere Kinder zur Welt, die aber alle nach jeweils kurzer Zeit versterben. „Allgemeine Lebensschwäche“ vermerkt der herbeigerufene Arzt oft in solchen Fällen. Kinder, die ungetauft verstarben, wurden stets als „N.“ und dem jeweiligen Nachnamen in den Büchern vermerkt. Kinder, die getauft verstarben, wurden mit Vor- und Nachnamen beurkundet. Uneheliche Kinder werden erst nach einer Hochzeit und/oder Anerkennung der Vaterschaft „legitimiert“. Ansonsten findet sich ein „(ill.)“ hinter ihren Namen. Oft erklärte sich ein Vater erst nach Jahren für ein Kind verantwortlich. Dies geschah dann stets „vor Zeugen, denen er persönlich wohlbekannt ist“. Akribisch wurde darüber Buch geführt und auch nachträglich Vermerke in den Taufbüchern vorgenommen.

Jetzt noch an der Hand meiner Uroma lief ich nur wenig später allein

Und welche Rolle spielt womöglich Slowenien? Die verwitwete Veronica, eine geborene M., heiratet einen Witwer. Ihr Geburtsname ist slowenischer Herkunft. Sie auch? Ihr verstorbener Mann war ein Thomas St. Es gab natürlich viele Thomas mit dem Namen Stock/Stok/Stök/Stokh/Stohk. Veronicas erster Ehemann, war von Beruf ein Müller. – Nun darf nich gemutmaßt werden, sonst könnte die „Familiensaga“ zur Spekulation werden. Gehörte dieser Thomas zu den Familien, die einst weiter westlich an der Mur lebten? Ist er vielleicht ein Angehöriger, den es beruflich nach P. verschlagen hat? – „Überall geht ein früheres Ahnen dem späteren Wissen voraus.“ (Alexander von Humboldt)

Längst habe ich meine engeren Urahnen und einstigen Familienmitglieder identifiziert, aber die Neugier treibt mich immer wieder „in die Bücher“.