In einer Sache irrt sich Herr TomTom, die Majestät der Navigationsgeräte: Wir hätten bereits vor Holstebro die (dänische) A18 an der Anschlussstelle 20 verlassen sollen. So wären wir in einem Halbkreis „unter“ der dänischen Handelsstadt (handelsby) gefahren und hätten uns die Fahrt durch das Zentrum erspart. Um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Als „handelsby“ bezeichnen die Dänen eigentlich jede Stadt in der man einkaufen kann. Der „Titel“ hat also nichts mit Hanse, Handel, mittelalterlichen Koggen oder den seinerzeit gern als „Pfeffersäcken“ bezeichneten hanseatischen Kaufleuten zu tun.

Und während ich hier schon wieder den Oberlehrer mime, fahren wir längst auf der B16 in Richtung Ulfborg. „Diese kleine Stadt hat eigentlich nichts zu bieten“, aber wir wollen ja auch nach „Vedersø Klit, wo das touristische Geschehen brummt“, so schreibt es Roland Hanewald in seinem Handbuch für individuelles Entdecken.

Wir sind Gäste in der Region Mittleres Westjütland und halten uns natürlich an die außerorts vorgeschriebenen 80 Km/h. Das skandinavische Zusammengehörigkeitsgefühl gestattet es im selben Moment einem Schweden, uns mit gefühlten 120 Km/h im Tiefflug zu überholen. Warum erwischt man mich in Ostfriesland bei einer Geschwindigkeitsübertretung um 7 Km/h und übersieht diesen rasenden nordeuropäischen parlamentarischen Monarchisten? – „Glück ist das einzige, was wir anderen geben können, ohne es selbst zu haben.“ Carmen Sylva.

Über Staby und Husby erreichen wir nach wenigen Kilometern unser Ziel im Bækbyvej. Noch fällt uns nicht auf, dass in Vedersø Klit alle Ferienhäuser gemauerte Fundamente und Strohdächer haben müssen. Noch weniger bemerken wir in den Ausläufern der Husby Klitplantage, des Husby Dünenwaldes, dass die Häuser mit ihren Giebeln in Ost-West-Richtung liegen müssen. Gut, in Dänemark begnügt man sich mit einer biederen „Ost-West-Richtung“, in Deutschland wäre diese flüchtige Angabe durch eine exakte Gradzahl unter strenger Beachtung der Meridiankonvergenz (sehr lässig erklärt: die Abweichung von geographisch Nord und magnetisch Nord) fest- und vorgeschrieben.

Auto ausräumen, Haus einräumen, Zimmer und Betten beziehen, Fahrräder startklar herrichten. Fertig! Fertig? Noch lange nicht! Der Einkauf lang entbehrter dänischer Lebens- und Genussmittel steht auf der Agenda. Und wo gibt es diese? Natürlich in Ulfborg, in der Harbogade 17. Der ABC Lavpris, billigst på hele indkøbet (preiswert beim gesamten Einkauf), straft den sehr erfahrenen und sachverständigen Autor Roland Hanewald (Zitat: Diese kleine Stadt hat eigentlich nichts zu bieten.) in dem Punkt der „versorgungstechnischen Kompetenz“ Lügen. 5.000 Artikel zu Discountpreisen warten auf uns! Uns, also mir, reichen für´s erste: Tuborg Øl und „Giraf“ (Bier aus dem Hause Carlsberg mit 10Vol%). Gut, es kommen auf Protest der besten aller Ehefrauen dann doch noch einige ebenso wichtige Lebensmittel dazu: Grovhakket Leverpostej, diese dänische Leberwurst, die scheinbar nur für deutsche Touristen hergestellt wird. Die will ich haben! Sie ähnelt ein wenig Lunas Dosennahrung und kann nur mit einer Unmenge an gerösteten Zwiebeln gegessen werden. Noch nie sah ich eine Dänin oder einen Dänen, die bzw. der diese „Spezialität“ kaufte. Makrel salat, BUKO RejeOst (Schmierkäse), Kløver Sødmælksyoghurt Jordbær (Erdbeerjoghurt), Toms Guld Barre (Schokolade) und Kartoffel Chips med smag af havsalt. – Wer allerdings die 0,35 l Flasche Aalborg Taffel Akvavit in den Einkaufswagen legte wird für immer ein Rätsel bleiben.

Für den ersten Tag haben wir uns eine leichte Fahrradtour ausgesucht: „Rund um Vester Husby“. Eine wirklich tolle Tour durch schöne Dünenlandschaften und herrliche Waldgebiete. Nur eben „unseren“ Bæksbyvej in Richtung Husby fahren, abbiegen auf den Græmvej und ab geht das Fahrraderlebnis. Unauffindbar ist für uns der Weg durch den Wald, entlang am See zur Kirche in Husby. Wir landen an einer vielbefahrenen Kreuzung und schauen in die Röhre. Also, zurück und den Weg durch den Wald, der ja irgendwie vom Bæksbyvej abzweigen muss, gesucht. Fehlanzeige. Wir gestalten uns spontan unser eigenes ultimatives „Rundt om Vester Husby“-Erlebnis. Tatsächliches fahren wir plötzlich auf dem Raketvejen durch die Dünen in Richtung Strand. Und das alles ohne Radwanderkarte.

Auf einem der vielen Parkplätze am Strand stellen wir unsere Räder ab. Natürlich trägt auch dieser kleine Strand seinen eigenen Namen, aber sich diesen zu merken überfordert mein Erinnerungsvermögen. Ich erinnere mich nur noch an „die (gefühlt) höchste Düne der Welt“, die wir erklimmen müssen, um das Wasser zu sehen. Die beste aller Ehefrauen hat mittels der tierischen Zugmaschine Luna inzwischen den Gipfel erreicht. Ich mache weiterhin zwei winzige Schritte nach vorn um danach mindestens 2,40 m „talwärts“ zu treiben. Also drehe ich mich um und laufe die Düne im Rückwärtsgang hoch. So nähere ich mich zügig dem Gipfel, da ich ja nun nicht mehr rückwärts bergab gleite, sondern bergauf. Tja, diesen Tipp gab mir einst der Baron Hieronymus Carl Friedrich Freiherr von Münchhausen. – Auf sein Wohl trinke ich abends ein Carlsberg Giraf und einen ihm gebührenden Aalborg Taffel Akvavit.

Während unserer nächsten Radtour besuchen wir das Pfarrhaus „Kaj Munks Præstegård“ sowie die Kirchen in Verdersø und Staby. Kaj Munk (1898-1944), der eigentlich Kaj Harald Leininger Petersen hieß, war ein dänischer Pastor, Schriftsteller, Gegner Hitlers und christlicher Märtyrer. Er wurde von einem SS-Kommando verhaftet und im Forst Hørbylunde vor Silkeborg erschossen. Dies war die erste Terroraktion der sog. Petergruppe unter Führung des deutschen SS-Hauptsturmführers Otto Schwerdt, alias Peter Schäfer (1914–1975). Die Gruppe ist für etwa 50 weitere „Ausgleichsmorde“ verantwortlich.

Das jütländische Heidegebiet Hjerl Hede ist nur etwa 60 Kilometer entfernt. Im gleichnamigen Freilichtmuseum, das sich auf einem Gebiet von mehr als 20 Hektar erstreckt, besichtigen wir alte landwirtschaftliche Gebäude, weichen den frei umherlaufenden dänischen Landgänsen aus und sehen schwarzbunte Landschweine und graubunte Rinder. Besonders haben es Luna dabei die braunen Landhühner angetan. Kurz, wir erleben das Leben wie einst auf dem Lande und kaufen uns in der alten Bäckerei Brot und Kuchen.

Den Ort Thorsminde (Thors Gedenken) besuchen wir an einem Nachmittag an dem wir einfach einmal ins Blaue fahren. Wir könnten uns hier in der Nørgaard Fisk og Røgeri mit frischem Fisch eindecken, können es aber auch lassen, denn jeder Kutterhafen an der deutschen Nordseeküste verbreitet mehr Charme als dieser 1972 eingeweihte Fischereihafen.

Auf unserem Rückweg machen wir einen Abstecher nach Felsted Odde am Felsted Kog, einer Bucht im Nissum Fjord. Hierhin fährt man, wenn … Ja, wann und warum eigentlich? Ich kann es nicht sagen. Allerdings fuhren wir dorthin, um auf dem Heimweg aus dem „Niemandsland“ Brennholz für den Kamin zu kaufen.

Gut, es war reiner Zufall, der uns diesen Stand finden ließ. „Brennholz im August?“ „Ja, bei 16°C eine (an-)zündende Idee am Abend.“ – Übrigens: Ein Sack Brennholz/30 dän. Kronen. Portokosten für eine Briefmarke (Ansichtskarte)/30 dän. Kronen. Wenn man bedenkt wie lange ein Sack Feuerholz brennt, dann … „Nein, wir verschicken weiterhin sehr gern Kartengrüße an unsere Lieben, die nicht online sind.“

Hannes Wader sang 1972: „Heute hier, morgen dort. Bin kaum da, muss ich fort.“ Gerade erreicht uns die Nachricht unseres Vermieters: „Am Wochenende werden wir die größten An- und Abreisetage haben und daher möchten wir Ihnen die Heimreise mit dieser E-Mail, so gut wir können, erleichtern. Am Samstag wird nämlich die Landstraße bei Søndervig wegen des Bauvorhabens Lalandia gesperrt. usw. …“ – Das ist sehr nett und vorausschauend gemeint, aber wir haben Mittwoch, noch mindestens zwei Tage Ferien vor uns und eigentlich ist es uns sehr egal, ob und wann wir uns in die panikartige Flucht gen Deutschland einreihen müssen.

Auf unserem wetterbedingten Ausflug nach Ringkøbing, der dänische Himmel bietet uns nieselregnend die Stirn, passieren wir das Bauvorhaben Lalandia (Badepark mit der (geplant) größten „Badeanstalt“ (heute heißt so etwas Aquadome) Nordeuropas). Es gibt Lalandia bereits in Rødby auf der dänischen Insel Lolland und in Billund, der „Legostadt“. Gut, wenn es dem Tourismus dienlich ist, dann können sie ja mal experimentieren und hoffentlich „nicht baden gehen“. – Wir werden Dänemark dann sehr gern und wie gewohnt, an der unseres Erachtens doch „hyggeligeren“ Ostseeseite besuchen.

Wir wählen die Fahrradtour „Östlich von Ulfborg“: En Cykeltur Øst For Ulfborg. „Sie führt durch Forstgebiete mit fantastischer Natur, offener Heidefläche und artenreicher Fauna.“ Soweit der verheißungsvolle Text zu unserer heutigen Fahrradtour, die wir an der Ulfkær kirke, die im Jahr 1900 errichtet wurde, im Ringkøbingvej beginnen. Wir nehmen die Räder am Ferienhaus „huckepack“, starten erst in Ulfborg und sparen so gute 18 Km. Während unserer Tour passieren wir auch das Ulfborg Skyttecenter (Google bezeichnet es als „Schützenverein“) im Filsøvej. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass es sich hier um eine rein militärisch genutzte Standortschießanlage des dänischen Heeres handelt. Kein „Schützenverein“ besitzt auch nur im Entferntesten die Möglichkeiten, ein so ausgedehntes Areal zu hüten.

Unsere Radwanderkarte ist in ihrem Maßstab ein wenig groß geraten, die Strecken werden oft „schwärmerisch“ beschrieben und die Wege sind zwar befestigt, doch ein verwöhnter Radler erwartet dann doch ein wenig mehr „Harmonie in der Streckenführung“. Und wenn dann auch noch das Pilze- und Beerensuchen am Wegesrand in Aussicht gestellt wird, dann spüre ich das Gewicht des Bären, den man mir hier aufbinden will.

Auf dem Rückweg besuchen wir noch einmal das Pfarrhaus „Kaj Munks Præstegård“. Inzwischen ortskundig, wählen wir den malerischen Weg durch Felder und Wiesen von Staby über Vedersø Kær, Vedersø und Hug. Vor uns liegt das einstige Pfarrhaus am Nørresø. Die beste aller Ehefrauen besucht noch einmal das Museum und das Frollein und ich finden einen Weg zum See. Hier mag der dänische Pastor und passionierte Jäger einst mit seinen Hunden zur Entenjagd aufgebrochen sein.

Wir haben uns in dieser Woche am dänischen Nordseeküstenstreifen zwischen Ringkøbing und Thorsminde aufgehalten und vieles gesehen und einiges, nicht nur mit dem Fahrrad, erfahren. Gesehen haben wir während unserer Ferie med hond die Kirchen von Staby und Vedersø, wir waren im Freilichtmuseum in Hjerl Hede, besuchten das Herrenhaus Nørre Vosborg, kauften im ABC-lavpris in Ulfborg ein, tankten bei OK (1,14 Euro/L Diesel) mit der Maestro Karte, machten uns auf zum Fjord der Vögel, waren am „Ende der Welt“ in Felsted Odde und einem weiteren „anderswo gelegenen“ kleinen Hafen am Nissum Fjord irgendwo bei Nørby Gårde, wir besuchten wiederholt das Pfarrhaus „Kaj Munks Præstegård“, bummelten durch Ringkøbing und versorgten uns mit den kleinen Dingen, die das Leben so lebenswert machen, beim Kaufmann Let Køb am Campingplatz in Vedersø Klit. Am letzten Abend besuchen wir heute das Restaurant Havtorn und werden uns die Fischgerichte schmecken lassen.

Am morgigen Samstag geht es zurück. Und da der gefürchtete Bettenwechsel in Dänemark stets für übervolle Autobahnen und endlose Staus an den Grenzübergängen sorgen wird, werden wir unseren Ferienhausschlüssel „auf den letzten Drücker“ übergeben, die noch offene Stromrechnung begleichen und uns „querfeldein“ auf den Heimweg machen.

In Søndervig wird die Straße gesperrt sein und der An- und Rückreiseverkehr durch den kleinen Ort geleitet werden. Ohne uns. Viele werden somit zur Autobahn in Richtung Holstebro oder Herning strömen, um sich dann in einer Art stetig anfahrend-bremsender Polonaise in Richtung Flensburg zu bewegen. Auch ohne uns.

Wir werden im ersten noch zu erwartenden dichteren Verkehr entlang einer gedachten Linie über Skjern, Grindsted, Vejen und Vojens nach Haderslev aufbrechen. Hier gibt es, so lange wir denken können, bei „Grethe“ die leckersten Hot Dogs. Über Aabenraa geht es dann in Richtung Deutschland. Und mit etwas Glück, ist die „touristische Stampede“ dann abgeebbt und wir werden hoffentlich entspannt, gestärkt und zufrieden in Richtung Wiefelstede, usA (unser schönes Ammerland) rollen.

Und so ist es dann tatsächlich verlaufen: Die Idee, Dänemark „querfeldein“ in Richtung Grenze zu verlassen, war genau richtig. Wir kamen sehr gut voran und ein vollbepackter und mit Fahrrädern „gespickter“ „Darth Vader“ dankte es mit einem Durchschnittsverbrauch von 7,7 l/100 Km.

In Haderslev ließ uns „Grethe“ im Stich. Ihr Hot Dog Stand öffnet nur werktags und schließt am Freitag um 15.00 Uhr. Wir wichen an diesem Samstag auf „Christian“ in der Haderslever Fußgängerzone aus. Komisch, hier schmeckten uns die Hot Dogs genauso gut wie bei der „treulosen Grethe“.

Nach einem kleinen Abstecher nach Diernæs und Aabenraa fuhren wir störungsfrei zur Grenze. Dort erhielten die Einreisenden nach Dänemark sofort unser größtes Mitgefühl: Der Verkehr auf der A7 staute sich fast bis zur Anschlussstelle 5 „Schleswig/Schuby“ zurück.

12 Km Stau vor dem Elbtunnel in Fahrtrichtung Hannover/Bremen. Wir verließen die A7 bei HH-Schnelsen-Nord, um diesem „Elend“ auszuweichen. In Hamburg erwischte es uns dann auf dem Heidenkampsweg: Länger als eine Stunde erlebten wir hier im automobilen Großverband die Baustellen inkl. gesperrter Fahrbahnen. – „Der Weg ist das Ziel.“ Konfuzius´ weise Worte halfen uns in dieser Situation allerdings auch nicht so recht weiter.