Eine der eher entbehrlichen Anschaffungen ist es, dass ich einen Wecker besitze. Also, nicht den vierbeinigen Wecker, Modell Kleiner Münsterländer und namens Luna, ich meine einen „richtigen Wecker“: Funkgesteuert, batteriebetrieben, eben mit allem was dazu gehört. Ich werde, sobald ich ihn stelle, immer rechtzeitig wach. Egal zu welcher Zeit. 03.15 Uhr, 04.30 Uhr, 06.00 Uhr. Ich gewinne immer. Doch damit „Herr Braun“ nicht traurig ist, stelle ich mich manchmal schlafend, und lasse ihn zur vereinbarten Zeit piepen.

Ich habe „Herrn Braun“ auf 04.30 Uhr gestellt, denn wir wollen mit Big B. noch einmal nach Schleswig-Holstein an den Elbe-Lübeck-Kanal reisen. Und damit wir ungehindert die Dauerbaustelle bei Bremen passieren können, wollen wir vor dem dort einsetzenden Berufsverkehr schon längst Hamburg ansteuern.

Um 04.15 Uhr bin ich wach und federe wie eine Gazelle aus dem Bett. Oder wie heißt das graue Tier mit dem Horn auf der Nase? Vorhänge und Fenster auf, frische Luft in alle Räume. „Die Beste von allen“ ist darüber nicht so recht begeistert. Klarer Fall, Reisefieber.

Um 05.40 Uhr rollen wir gen Bremen. Die BAB ist gut besucht, aber es geht voran. Bei Delmenhorst, wir nähern uns dem gefürchteten Staubereich, zwängt sich ebenso plump wie überflüssig ein 7,5-Tonner vor uns, bremst uns geschickt aus und somit haben wir bereits zu dieser frühen Stunde den obligatorischen „Quoten-Blödel“ erlebt und unserer reibungslosen Weiterfahrt nach Güster an den Prüßsee steht nichts mehr im Wege.

08.20 Uhr. Eine gute Dreiviertelstunde vor Öffnung der Rezeption stehen wir in „pole position“ am Tor zur Freizeitwelt Güster. Wir nutzen die Zeit und inspizieren die Stellplätze am Kanal. Luna leitet derweil eine erste Bestandsaufnahme bezüglich der körperlichen Verfassung und Anzahl der Enten und Gänse am und auf dem Schifffahrtsweg ein. Stellplatz 20 sowie der Gesundheitszustand und die Gemütslage der gefiederten Freunde werden für gut befunden. Um 10.00 Uhr sitzen wir am Frühstückstisch. Das soll uns mal einer nachmachen.

Am Nachmittag drehen wir unsere erste Runde um den Prüßsee im Herzogtum Lauenburg. Es hat sich einiges verändert in der Freizeitwelt Güster: die Böschungen wurden zum Teil gerodet oder stark, weil nötig, zurückgeschnitten, „dunkle Ecken“ wurde durch den Einsatz der Motorsense „erleuchtet“ und die stets offenen Tore zum Kanal mit aussagekräftigen Hinweisschildern für abwegige „Durchreisende“ versehen. Das große Tor bei der Müllentsorgungsstelle wurde komplett geschlossen. Warum wohl? In die Jahre gekommene Caravans und ihre ebenfalls sehr betagten Vorzelte sind verschwunden, neue Stellplätze wurden erschlossen und warten auf neue Mieter. Und auch manche, einst bis in den Himmel ragende, einen Dauerstellplatz sichernde und abschirmende Hecken wurde auf ein überschaubares Maß zurückgeschnitten. So verwehren lediglich noch die eine und andere Wagenburg den Blick auf den See. Damit können wir leben, denn wir kennen inzwischen viele natürlich belassene Wege und Plätze, die uns ans Ufer des Prüßsees führen.

Nachdem wir die halbe Strecke zurückgelegt haben, kommen wir im Ort Güster an. Wir freuen uns auf ein oder gern auch zwei leckere Fischbrötchen. Niemand da. Die Bude ist geschlossen und zur Abrundung unserer ersten Enttäuschung stellen wir fest, dass die Bäckerei unseres Vertrauens Betriebsferien bis zum 21. Oktober macht. „Hallo? Wie kommen wir nun an „unsere“ Roggenbrötchen?“ – Gar nicht.

Die Diskretion verbot es mir bis heute, über Anstand und Benehmen einiger Mitcamper zu berichten. Heute möchte ich dieses mir selbst auferlegte Schweigen einmalig brechen. Es gibt Menschen, die sich auf Campingplätzen verantwortungsvoll um die Sanitärgebäude kümmern und diese zur Freude und Annehmlichkeit der Gäste stets sorgsam und pfleglich in einem blitzblanken Zustand halten. Und es gibt Zeitgenossen, die sich darum im wahrsten Sinne des Wortes, einen Dreck scheren. In Güster begegnete mir ein Exemplar der Spezies „Holla, hier kommt der Landvogt! Nach mir die Sintflut!“ – Ich hoffe, dass das „biblische Hochwasser“ ihn eines Tages einholen wird.

Wir machen uns auf den Weg, die „große Runde“ um den Prüßsee zu laufen. Es wird Zeit. Die Gäste, die sich zwei und drei Stellplätze neben uns einquartiert haben, kommen langsam in Stimmung. Sie scheinen etwas zu feiern haben.
Heute laufen wir einmal entgegen dem Uhrzeigersinn, denn trotz Oktober strahlen 27°C vom Himmel, die uns heute aber „hinterrücks beleuchten“ sollen. Von der Straße Am Prüßsee kommen wir auf den Moorweg, den wir, inzwischen inmitten der weiten Landschaft, bis zum Haferkoppelweg nutzen. Obwohl für den öffentlichen Verkehr gesperrt, überholen uns auf dem landwirtschaftlichen Weg Autos. Katharine Hepburn stellte einst fest: „Wenn du immer alle Regeln befolgst, verpasst du den ganzen Spaß.“ Ja, und diesen lassen sich die motorisierten Angler auch nicht entgehen.

Der Haferkoppelweg führt uns wieder an den Elbe-Lübeck-Kanal zurück. Die Sonne gibt an diesem Nachmittag alles. Und als wir Big B. wieder erreichen, stellen wir fest, dass „die von nebenan“ es dem Stern im äußeren Drittel der Milchstraße mehr als gleich getan haben. Auch sie geben (sich) alles … Vergliche man die Sonne mit einem riesigen Atommeiler, so glühen die Gesichter der drei Campingfreunde mindestens gleichwertig. Wäre es allein beim Glühen geblieben, gäbe es keinen Grund zur Klage. – Wir schweigen dennoch: „Sprechen heißt urteilen. Schweigen heißt geurteilt haben.“ (Hans Lohberger).

In der Taverne „Inos“ schütteln wir am Abend das ausufernde Zechgelage der „drinking buddies“ ab und lassen es uns einmal mehr gut gehen. Hätten die Wirte gewusst, dass die Oktobersonne noch so glänzt, sie hätten sicherlich die Tische und Stühle der Terrasse nicht ins Winterquartier geschickt. Aber, wer kann das ahnen? Zum Glück haben wir „unseren Tisch“ bereits von usA (unserem schönen Ammerland) aus reserviert, denn an diesem Abend „platzt das Inos aus allen Nähten“. Beim Verlassen des Lokals überlegen wir scherzhaft, ob wir unsere Plätze nicht meistbietend in der Schar wartender Gäste versteigern sollen.

Unsere Rückfahrt am Sonntag verläuft, trotz all meiner „verkehrstechnischen Bedenken“, reibungslos. Die Dauerbaustelle auf der A1 bei Bremen passieren wir entgegen meines ungebremsten Pessimismus´ in weniger als 10 Minuten. Gut, dass es den bundesdeutschen Kraftfahrer beim ersten Anzeichen zähfließenden Verkehrs sofort auf die linke, mindestens jedoch in die mittlere Fahrspur treibt. So hatten wir „auf der Lkw-Spur“ freie Fahrt und die „wechselhaften Chauffeure“ benötigten zwischen 10 und 15 Kilometer, bis sie uns auf der A28 wieder eingeholt hatten. Heute mache ich mich über sie lustig, doch vor einigen Jahren gehörte ich selbst dazu! – „Es ist ein großer Trost, andere dort scheitern zu sehen, wo man selbst gescheitert ist.“ – William Somerset Maugham.

Es sollte in dieser Saison unsere letzte Reise im und mit Big B. sein. Eigentlich. Wir werden uns überraschen lassen. Wenn das Wetter uns weiterhin so verwöhnt, dann geht es bestimmt noch einmal „auf Achse mit dem Fluchtfahrzeug“.