Bevor sie mich 1978 aus meiner Stammeinheit in Aurich gehen lassen, drücken sie mir noch einen UvD (Unteroffizier vom Dienst) „auf´s Auge“. Am 26. März: Ostersonntag. Am darauffolgenden Dienstag (Reisetag) werde ich versetzt. Also, sparen sie sich in der Stabskompanie I/Fernmelderegiment 34 den einen Tag Freistellung vom Dienst, der mir zustehen würde. Doch das ist mir vollkommen egal. Mit dem Ostersonntag beginnt bekanntlich die österliche Freudenzeit, die fünfzig Tage bis einschließlich Pfingsten dauert. Für mich dauerte sie viele Jahre länger, denn ich wurde zur 2./Flugabwehrraketenbataillon 26 nach Rodenkirchen in die Wesermarsch versetzt. – Meinem Versetzungsgesuch zur „FlaRak“ wurde stattgegeben.
Als zwischenzeitlich zuversetzter Soldat komme ich in den Feuerleitbereich der 2. Batterie, denn ich hatte den Wunsch geäußert, als Flugabwehrraketenelektronikmechanikermeister (FlaRakElo-MechMstr), so lautete seinerzeit tatsächlich die offizielle Dienstpostenbezeichnung, meinen Werdegang bei der Bundeswehr fortzusetzen. Und da das vom griechischen Naturphilosophen Heraklit stammende „panta rhei“ (alles fließt, alles ist im Fluss) natürlich auch für die Disziplin der Streitkräfte gilt, nannte ich mich (viel) später dann FlaRakEloFw A (Flugabwehrraktenelektronikfeldwebel A).
Meine Ausbildung am Arbeitsplatz (AAP) zum Stabsdienstsoldaten hatte man mir im Herzen Ostfrieslands zuerkannt. Schulbildung. Meine 8er-Stufe als ABC/Se-Soldat, die ich mit der Note sehr gut abschloss, hatte ich mir in der Blücherkaserne in Aurich verdienen müssen. Schon damals sagte mir eine innere Stimme: „Diese ABC-Sache behalte besser für Dich.“ – Ich tat gut daran.
So, und da zum Zeitpunkt meiner Ankunft in „Roonkarken“ keine Ausbildung zum Flugabwehrraketenkanonier NIKE (FlaRakKan N) stattfindet, werde ich vorübergehender und sehr willkommener Kandidat für das Amt „Kommandant Zutrittsberechtigung Feuerleitbereich“. Bis dato lautet die Bezeichnung zwar „Tor- und Schließerposten Feuerleitbereich“, kurz: ToPo, aber „das Kind will nur den richtigen Namen haben“, dann klappt´s auch mit der zeitigen Beförderung.
Apropos Beförderung: Neuzuversetzte Soldaten trafen zu 99,927%, abgesehen von den „Neckermann-Obergefreiten Unteroffizieranwärter (OGefr UA)“ als „Kanonier“ aus der Grundausbildung in Rodenkirchen ein. Nicht ich. Ich war bereits Gefreiter.

Mein damaliger „extravaganter“ Zugführer (ZgFhr) erfasst das nie: „Kanonier (Kan) Stock!“ Entnervt lasse ich den Herrn Oberleutnant (OLt) schließlich in diesem Glauben. Obwohl es mich reizt, ihn einmal mit Herr Leutnant (Lt) G. anzusprechen.
Was macht man mit dem Neuen? Man beschäftigt ihn. „Das ist die Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 10/6 und dies die „Besondere Wachanweisung Feuerleitbereich (BesWachAnw FLB)“. Dies ist die Zutrittsberechtigungsliste (Zbl). Alle und alles musst Du in- und auswendig kennen!“ Gefreiter Rainer H., mein stellvertretender Wachhabender (stv. WH) weiß, „wie der Hase im Feuerleitbereich (FLB) läuft“ und reicht mir die Lektüre für meine zukünftigen Schichten. – Ja, Schichtdienst im 48- und 72-Stunden-Rhythmus ist von nun an für mich angesagt. Doch ich weiß, worauf ich mich mit meinem „Antrag auf Versetzung“ eingelassen habe.
Vier Wochen lang laufe ich hin und her (zwischen Wachlokal und Tor), schließe ich auf und ab, lasse ein und aus. Schnell habe ich den „Wachdienst in der Bundeswehr“ (ZDv 10/6) verinnerlicht. Ich bin für meinen ZgFhr weiterhin der Kan Stock und eines Tages, ich erkenne die Ankunft des mir persönlich bekannten Herrn OLt G., meines Zugführers, inzwischen am Motorengeräusch seines Pkw zu jeder Tages- und Nachtzeit, lasse ich ihn ohne Kontrolle seines „badges“ (Sperrzonenausweis) in den Stellungsbereich einfahren. Noch halte ich dies für (m)eine mit dem §12 Soldatengesetz (Pflicht zur Kameradschaft) durchaus zu vereinbarende freundlich-kameradschaftliche Geste.
Das daraufhin unmittelbar einsetzende Donnerwetter (Predigt, Straf-, donnernd, geräuschvoll) ist aufsehenerregend. Nicht nur für den Feuerleitbereich, nein, auch für die angrenzenden Gehöfte zwischen Frieschenmoor, Rodenkircherwurp und Ovelgönne. – „So ein „Gesäß““.
„Ich hätte meinen Sperrzonenausweis vergessen haben können! SIE sind der einzige, der mich daran hätte erinnern können! Ich erwarte zukünftig, dass … und wenn nicht, dann …!“ – Rabbi Jacob aus dem 1973er Kinofilm „Die Abenteuer des Rabbi Jacob (Schauspieler Louis de Funès)“, hätte jetzt gerufen: „Der hot sein´ Naupe´!“ (in etwa: Ein Mensch mit dem schwer auszukommen ist. Er hat seine Launen und Eigenheiten, Anmaßungen und Einbildungen.)
Tage später kündigt sich Besuch an. Hoher Besuch. Der Regimentskommandeur (RgtKdr) will den Tor- und Schließerposten Ronald Stock kennenlernen. – Ok, hier übertreibe ich ein wenig. – Im Rahmen der Dienstaufsicht besucht der „Regimenter“ den Feuerleitbereich der 2. Batterie. Und wird kontrolliert. Erst jetzt lernt er den ToPo Stock kennen. Er zeigt mir seinen Truppenausweis. Ich vergleiche diesen mit den in der Zutrittsberechtigungsliste (Zbl) vermerkten und verbrieften Daten. Und stelle fest: „Fehler! Die Truppenausweisnummer (TrpAuswNr) stimmt nicht mit der hier angegebenen TrpAusNr überein!“
Ich zögere keine Sekunde. Der ebenfalls anwesende Batteriechef (BttrChef) Major O. wird unruhig. Die begleitenden Offiziere scheinen auf glühenden Kohlen zu stehen. Mein im Bereitschaftsgebäude wartender „Herr OLt ZgFhr“ ebenfalls. Zur Vermeidung eines erneuten Blitzschlages mit einem abermals einhergehenden urgewaltigen Gewitter macht der Gefreite Stock das, was ihn entlastet: Er meldet. – „Melden macht frei.“
Ich bitte die Herrschaften vor dem Tor um Geduld und den Offizier vom Wachdienst (OvWa) um eine Entscheidung. Nein, nicht der Herr OLt G. ist mein Wachvorgesetzter, es ist der diensthabende Feuerleitoffizier Leutnant (Lt) Romeo Kilo. Und der macht das, was ihn auch später immer wieder auszeichnet: Er trifft eine kurze, schnelle (für mich eine durchaus diskutierbare) Entscheidung: „Reinlassen! Ich kenne den Regimentskommandeur persönlich.“ – Da verstehe einer die damals noch oliv-tarnfarbene Moleskin-Welt der Nike-Hercules-Lenkflugkörper-Streitkräfte im Raum Weser-Ems. – „Der darf das?“

Meine Ausbildung am Arbeitsplatz zum Flugabwehrraketenkanonier NIKE beginnt zwei Wochen später. – Es bleiben noch 32 Jahre Luftwaffe über die ich berichten könnte.