Ostern 2018. Unser offizieller Saisonstart. Wir fahren nach Schleswig-Holstein. Wir haben reserviert. Rechtzeitig und telefonisch. Das „Zugpferd“ war zur Inspektion in der Werkstatt unseres Vertrauens. Big B. ist erfolgreich hauptuntersucht, auf Dichtigkeit inspiziert und auch seine Gasanlage wurde auf Herz und Nieren geprüft.

Die Außentemperatur konzentriert sich auf und um den Gefrierpunkt und beabsichtigt auch nicht, diese Region in absehbarer Zukunft zu verlassen. So deute ich das nicht unbedingt sanft rüttelnde „Nebengeräusch“, das uns seit unserer Abfahrt vor fünf Minuten begleitet, als „frostige Materialunbeweglichkeit“ des Caravans. – Eine eiskalte Fehleinschätzung.

Technischer Halt an der nächsten Bushaltestelle: Ich habe das Bugrad vergessen! Nachlässig festgesetzt nimmt es immer wieder Bodenkontakt auf und läuft dabei selbstverständlich heiß. Es erhitzt sich über und angesichts meiner Achtlosigkeit so stark, dass sich die Nabe auflöst und sich das „Innenleben“ des Rades in seine Bestandteile zerlegt. – „Wie kann man nur?“, schüttelt der erfahrene Camper sofort und ungläubig sein weises Haupt. „Ja?“, das überlege auch ich und versuche diese vorwurfsvolle Anfrage kleinlaut mit: „Hier siegte die Vorfreude auf die erste große Ausfahrt über die Sorgfalt“, zu beantworten.

Schnell haben wir einen „Plan B“ parat und lassen uns durch das nahezu dahingeschmolzene Bugrad nicht aufhalten. Dafür sorgt schon bald ein unfallbedingter Stau auf der A1 bei Stuhr. „Von drei auf zwei auf eins.“ Es wird immer enger auf der BAB und die Zeit, sie rennt im Sauseschritt. Um 13.00 Uhr ist Mittagsruhe am Elbe-Lübeck-Kanal. Es sieht so aus, dass wir bis 15.00 Uhr warten werden müssen, um auf den Platz zu kommen. In Hamburg-Stillhorn wird diese Befürchtung wegen „Überfüllung“ der BAB immer wahrscheinlicher und auf der A24 bei Schwarzenbek/Grande im zähfließenden Verkehr zur besiegelten Tatsache.

Mein vollkommen unsinniger Fluchtversuch von der A24 an der Anschlussstelle (AS) 6 endet „in the middle of nowhere“. Nach einem abenteuerlichen Wendemanöver an und um die Kirche in Möhnsen, stellen wir uns an eben dieser AS 6 wieder hinten an, ergeben uns in unser bevorstehendes Schicksal und stehen weit mehr als eine halbe Stunde zu spät in Güster vor der vorübergehend verschlossenen Schranke zur Freizeitwelt.

Widrige Umstände „überzeugen“ uns dann davon, unsere Pläne für Schleswig-Holstein um 14.17 Uhr zu verwerfen. „Nicht für immer, wir kommen wieder!“ – Dies ist dann aber der Moment, da „Plan C“ ins Spiel kommt. Er lautet: „Emstal!“

Nach knapp 10 Stunden Fahrt, Stau, stockendem Verkehr, der Prozession durch vier Bundesländer (Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein), 578 Kilometern und einem für 1,46 €/L Diesel „Volltanken, bitte!“ auf der A28 an der Tankstelle/Raststätte Hasbruch, stehen wir um 18.45 Uhr in Sustrum auf dem CP Emstal. Wir bekommen einen „so-wie-du-reinfährst-kannst-du-auch-wieder-rausfahren-Platz“ für unseren „flügellahmen“ Big B. und Herr Sandker weiß Rat und hat Rad. Ein Bugrad, das er uns freundlicherweise ausleiht. Schnell sind alle Verkehrsstörungen dieses Karfreitags vergessen.

Über Düthe und Fresenburg fahren wir nach Lathen. Mir ist kein Weg zu weit, wenn es darum geht, der besten aller Ehefrauen eine all-in-one Lösung für die Kontaktlinsen zu besorgen. In Lathen angekommen, entscheiden wir, der vorösterlich stark belasteten Verkehrssituation gehorchend, dass „die Beste“ ihre all-in-one-Flüssigkeit, unvermittelt und mühelos aus dem Auto gleitend, persönlich, also unter vier Augen, beim Optiker erwirbt und mir die äußerst heikle Parkplatzsuche überlässt. – „Welch´ Glückes Geschick!“ Der örtliche Baumarkt Schlichter liegt rein zufällig „um die Ecke“ in der Bahnhofstraße 14-18. Nur er verfügt über gebührende Gelegenheiten, ein Fahrzeug korrekt, gefahrlos und geschützt abzustellen.

Viel zu früh findet mich meine Gemahlin in der Werkzeugabteilung der GmbH & Co. KG. Gerade vergleiche ich das reichhaltige Angebot an Akku- und Schlagschraubern, Bohrmaschinen und Winkelschleifern, die mir ein verantwortungsbewusster Verkaufsrepräsentant, der meine handwerklichen Fertigkeiten kennt, niemals aus freien Stücken und unbeaufsichtigt an die Hand geben würde. Ich habe Mühe, den so lange und schmerzlich vermissten 1000 Kg Scherenwagenheber und das unbedingt benötigte Universalschmierfett sowie die neue, Ton in Ton gehaltene Kehrgarnitur „Profi“ mit der Rechten zu halten. Da steht die beste Ehefrau unvermittelt neben mir. Sie lacht. Sicherlich freut sie sich über die neue all-in-one-Lösung. Oder war es dann doch die befreiende Freude und ersehnte Errettung durch den entsetzt-fassungslos herbeirennenden Angestellten des Schlichter Baumarktes, der sein Werkzeugsortiment vor mir schützen will?

Zurück im Emstal werden die Kontaktlinsen gepflegt und „neu eingelegt“. Das alte Kontaktlinsenbehältnis wird in einen dieser großen, grauen Container entsorgt und fortan nimmt ein neues Modell seinen Platz im Big B. ein. Ostersonntag 10.45 Uhr. Ein nicht näher genannt werden wollender Camper taucht in die Restmüllcontainer an der Brinkstraße ab. Hin und wieder zieht er sich am „Beckenrand“ hoch, schnappt nach Luft, um dann wieder in einer Woge aus weißen Mülltüten zu verschwinden. Warum? Er sucht nach Kontaktlinsen, die die beste aller Ehefrauen versehentlich mit dem ausrangierten alten Behälter dem Recycling zugeführt hat. Betroffen bis irritiert blickenden Gästen erklärt dieser Tauchsportler mit gesenktem Kopf und dabei eine Hand vor seine Augen haltend, er wolle sein Taschengeld durch die Suche nach Pfandflaschen aufbessern. – Nur Herr Sandker und ich kennen diesen „Wassersportler“ persönlich.

Sobald wir nach dem Aufwachen auch nur zwei Worte wechseln, steht das Frollein vor unserem Bett und macht sich, falls wir sie ignorieren, durch ein leises, aber nachdrücklich-unmissverständliches Knurren bemerkbar. Übersetzt heißt dies: „Auf geht´s! Der frühe Münsterländer fängt den Wurm!“ Da Luna immer noch nicht die Uhr lesen kann, ist es ihr auch relativ einerlei, welche Stunde der Sustrumer Big Ben geschlagen hat. Hauptsache es geht los. – Und zwar sofort.

Bei sportlichen -0,8°C finde ich uns am Ufer der Ems wieder. Noch hängt der Rauch des bereits vor zwei Tagen erloschenen Osterfeuers uns entgegenkommend in der Luft. Beleidigt, fast erniedrigt, trabt das Frollein neben mir. Wir schreiben den 2. April. Brut- und Setzzeit: Leinenpflicht in Feld, Wald und Flur bis zum 15. Juli. Nur die Ruhe, wir werden eine vertretbare und gelöst-erträgliche Leine-los-Lösung finden. Und schon bietet sich die erste Gelegenheit: ein Stockente scheint sich drei, vier Meter vom Ufer entfernt, gleichsam des Lebens überdrüssig, ertränken zu wollen. „Luna, voraus zur Rettung!“ Kometengleich prescht das Frollein voran und kann die Ente in letzter Sekunde von ihrem Versuch, freiwillig aus dem Leben scheiden zu wollen, abbringen. Erleichtert und dankbar quäkend hebt diese ab und fliegt davon.

Als wir uns der Stelle nähern, an der wir vor weinigen Tagen auf drei Nutrias stießen, ist Luna längst wieder an der Leine. Nutrias „sind nicht ohne“, aber ich bin mir auch nicht sicher, ob das Frollein es nicht doch mit den drei Musketieren aufnehmen würde.

Vor dem in der Mittagsruhe einsetzenden leichten ostermontäglichen Regen haben wir bereits unsere Siebensachen gepackt und verstaut. Die beste aller Ehefrauen fahndet noch gemeinsam mit der Hauptkommissarin Kathrin Klaasen nach dem „Ostfriesenkiller“ (Anm. ein Kriminalroman des Autors Klaus-Peter Wolf), Luna liegt unter „ihrem“ Tisch und lässt den letzten Ems-Spaziergang dieser Reise noch einmal Revue passieren und ich hypnotisiere durch die Scheibe des Backofens den dort garenden original bayrischen Leberkäse. Sie sind lese- und abenteuerhungrig. Ich mal wieder ausgehungert.

Inzwischen ist das „überhitzte“ Bugrad gegen die freundliche Leihgabe ausgetauscht. Ich habe es tatsächlich ohne größere Flurschäden anzurichten und Blessuren an Leib und Seele geschafft! In der kommenden Woche werde ich ein neues, höchstwahrscheinlich thermostabiles, Rad besorgen und dann in einem euphorischen Freudentaumel feststellen: „Das Emstal ruft! Die rollende Leihgabe muss zurückgegeben werden!“ – Ich habe auch schon einen sehr interessanten Reiseweg ins Auge gefasst: Wiefelstede-Hildesheim-Amsterdam-Papenburg-Sustrum. Schließlich gilt es die österlichen 578 Kilometer zu übertreffen. – Keine Sorge! Ich schaff´ das!

Ich denke, nahezu jeder Camper ist schon einmal mit nicht hochgekurbeltem Buglaufrad losgefahren – ich auf jeden Fall!
Ansonsten lag ich mit meiner Prognose ja bis 14.17 Uhr richtig.
Beste Grüße
Jens
Hallo Jens,
die Sache mit dem Bugrad war schon „heiß“. Und Güster wäre es auch geworden, wenn da nicht …
Viele Grüße
Ronald