1. Mai, 10.00 Uhr. Der Himmel ist bewölkt, aber es bleibt (noch) trocken. Der „Fliegende Holländer“ steht aufgetakelt vorm Haus. Die neue Zugmaschine, der Chevrolet Captiva wich einem Opel Antara 4×4, steht in den Startlöchern. Auf los, geht’s los. Na dann: „Los!“
„Hast Du auch alles dabei?“ – Natürlich habe ich alles gepackt und an alles gedacht. Gedacht ja, aber auch verstaut? – Kurz vor Rodenkirchen frage ich mich, warum der Blick nach hinten nicht so übersichtlich ausfällt, wie ich es von den Fahrten im vergangenen Jahr gewohnt war. Natürlich! Die Caravanspiegel! Sie räkeln sich, noch leicht verschlafen, in der Kajüte des Flying Dutchman. Also, erster Boxenstopp hinter dem Wesertunnel. Ich wollte ja ohnehin pausieren und sicherlich muss Luna mal für kleine Mädchen. Alle Maschinen “Stopp!“ Wir ankern. Synchron beginnt es zu regnen. „Luna, du musst doch nicht und die Spiegel sollen nicht nass werden.“ Tempomat auf 80 km/h und ab durch die Gischt. In Nesse, oh, Wunder, ist Schluss mit der Nässe. „Rechts ran!“ – Erleichtert steigen wir später ins Auto. Die Spiegel reflektieren weiterhin träumend im Wohnwagen. Vergessen? Nein, welcher Unmensch würde sie bei diesen Temperaturen montieren? Bei allem, was recht ist, die armen Dinger.
Wir nähern uns dem von Beginn an angepeilten, an einem großem Moorsee in der Nähe des Moorheilbades Bad Bederkesa gelegenen, Campingplatz. Nachdem wir über Stock und Stein, durch Kuhfladen, Matsch und auf landwirtschaftlichen Wegen nun vor unserem geplanten Ziel stehen, erblicken wir die letzten, noch ein wenig vom süffig-herben Maibock „ramponierten“, aber tapferen Tanz-in-den-Mai-Camper vor ihren Wohnwagen und auf den Wegen und fahren unseres Weges … und zwar weiter. Kurzer Stopp auf einem einsamen Parkplatz. Ein unglücklicher Blick auf unseren kuhschietverzierten Wohnwagen und dann ins Internet. – „Campingplatz, Elbe, Altes Land.“ Schnell wird das WorldWideWeb nach einer anderen „Lagerstätte“ befragt. Unsere Wahl fällt auf die Elb(halb)insel-Krautsand.
Pünktlich um 13.10 Uhr stehen wir vor der Einfahrt unseres ausgewählten „Zeltlagers“ zwischen Hamburg und Cuxhaven. Schranke unten, Ampel rot: Mittagsruhe von 13.00 Uhr bis 15.00 Uhr. Mit einem abenteuerlichen Manöver setze ich zurück oder treffender, ich versuche zurückzusetzen. Ohne erweiterten Rückblick, denn die Spiegel liegen immer noch im Wohnwagen, scheitert dieser Versuch beschämend und kläglich. Flugs den Fliegenden Holländer abgekoppelt, per Hand gedreht, ausgerichtet und erneut angehängt. Ich ernte Spott und Hohngelächter der im nahegelegenen Restaurant speisenden Gäste. Vor meinem geistigen Auge liegen diese am Boden, krallen kreischend ihre Fingernägel in die Auslegeware und lachen sich, angesichts meines verfehlten Fahrmanövers, kaputt! Interessiert es mich? Nein, es interessiert mich nicht! Die kennen mich doch gar nicht. Zumindest bis heute. Doch: die Welt der Camper ist klein und mitteilsam.
15.30 Uhr. Der Wohnwagen steht. Er steht mustergültig. Er steht waagerecht. Er steht perfekt! Er steht sozusagen wie eine „1“. Wo, bitte schön, sind jetzt die begierigen Zaungäste? Keiner von ihnen hätte auch nur ansatzweise eine Ahnung, dass ich den Fliegenden Holländer durch reines Augenmaß so vollendet ausbalanciert habe. Typisch, das sieht wieder kein Mensch! Aber wehe ich lege den Rückwärtsgang ein, dann … – „Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will.“ – Galileo Galilei.
Wir schnappen uns das Minirad und erkunden die Umgebung. Bisher hatte das „Drahteselchen“ drei Gänge. Plötzlich schaltet sich die KLM-Betriebsart (KLM – KLeiner Münsterländer) dazu. Luna zieht wie eine Dampfmaschine. Warum? Es wird ihr Geheimnis bleiben. Auf alle Fälle komme ich sehr ausgeruht von unserer Radtour zurück. Luna liegt später auf ihrem Lager und träumt. Höchstwahrscheinlich von den Wölfen, die uns lt. Presseberichten nun bald im Ammerland erbarmungslos heimsuchen werden, denn sie heult zwei, drei Mal wie Isegrim. Oder hat sie Heimweh?
Es gibt sie überall. Spontan und somit unverhofft, tauchen sie auf. Rotten sich zusammen, finden ein gemeinsames Gesprächsthema und irgendeiner hat, ebenso schnell, wie spendierfreudig, die zur Erbauung und zur Förderung des Redeflusses unverzichtbaren „Spaßmacher“ parat. Spaßmacher in Form von Ouzo, Kleiner Feigling, Kümmerling, Jägermeister, Charly und, wie im heutigen Fall: Flensburger Pilsener, den Klassiker. Unverwechselbar in Charakter und Frische. Und Ouzo. Eine sich stetig lebhafter entwickelnde Unterhaltung nimmt ihren verhängnisvollen Lauf. Stetig, besonders im Sinne von geräuschvoller und kunterbunter werdend. Nun bin ich nicht der Lauscher an der Zeltwand, doch unabwendbar kommt niemand im Umkreis von 30 Metern an dieser bierseligen Plauderei, die inhaltlich und protokollarisch immer gleich zu verlaufen scheinen, vorbei. Eine oder zwei dominante Männerstimmen geben reihenweise Anekdoten zum Besten. Dabei werden sie durch das Gekicher der Zuhörer animiert, immer noch tiefer im Trüben zu fischen, um weitere Räuberpistolen aus der Versenkung zu holen. Ich erwische mich bei dem Gedanken, den Campern die Getränkevorräte zu verstecken. Absurd. Neue Gäste kommen hinzu und werden mit der Schnulze „Atemlos“ empfangen. Warum atemlos? Ich befürchte, diese Gesellschaft hat noch Luft, Gesprächsstoff und geistige Getränke bis zum Morgengrauen! Und dann, ganz unerwartet, herrscht Ruhe. Und ich habe nichts, über das ich mich spottend schreibend auslassen kann, mehr. Aber: „Halt, da läuft doch noch eine Party.“ Es sind die anderen Anlieger. Hier geht es um den Kölner Karneval und warum Niedersachsen „damit nix am Hut haben“. Der Beginn einer weiteren unendlichen Geschichte. Es ist noch früh am Abend. Also stehen die Chancen gut, dass die Karnevalisten irgendwann atemlos, bevor ich schlaflos werde, werden. – „Viva Colonia!“ – „Die große Stärke der Narren ist es, dass sie keine Angst haben, Dummheiten zu sagen.“ – Jean Cocteau
01.10 Uhr. Die Karnevalisten sind längst verstummt. Luna möchte plötzlich raus. Ich nicht. Wenig später schlurfe ich mit dem Frollein über den Campingplatz. Einmal für kleine Mädchen und zurück in die Wagenburg. 05.20 Uhr. Erneut das gleiche Ansinnen der Madam. „Denkste, Puppe! Ruhe im Schiff!“ Gegen 07.20 Uhr lässt sich dann schließlich über eine erweiterte Platzrunde verhandeln. Es ist bereits hell im Fliegenden Holländer. Und lauschige 8,3° Celsius „warm“. Der Wohnwagenboden sieht aus wie nach der Explosion eines Grasfangkorbes. Wenig später entdecke ich dann das Hinweisschild „Gartenabfälle“ in Reichweite unseres „Liegeplatzes“. Unser Gang in der vergangenen Nacht brachte so einiges mit sich. Wir ziehen unsere morgendliche Runde, frühstücken. Nachdem ich „klar Schiff“ gemacht habe, höre ich im Radio einen sehr zurückhaltenden Moderator, der einem Imam zur Thematik „Terror und Islam“ viel zu duldsam das Wort gönnt. Mir sträuben sich die Nackenhaare. Zwischen den Zeilen vernehme ich, dass man die terroristische Form des Islams zwar als eine Fehlinterpretation des Koran werte, darüber aber nicht gerichtet werde, weil … Bla, bla, bla. – „Oft tut auch der Unrecht, der nichts tut. Wer das Unrecht nicht verbietet, wenn er kann, der befiehlt es.“ – Marcus Aurelius
Kaffee für den Käpitän, Josera für das Frollein, kleine Pause, dann „in die Boote“: wir starten zur Krautsandrundfahrt. Vorher werde ich in die Rezeption gehen und petzen, denn fast jeder dritte Dauer- und Touristencampingplatzhundehalter lässt seine Fellnase vor unserem Platz in die Hecken verschwinden. Die Heckenschützen der Gattung Canidae können nicht anders, aber Herr- und Frauchen könnten die „Gasgranaten“ entsorgen! Nachher heißt es noch: „Der, der mit dem Wohnwagen nicht rückwärts fahren kann, der hat seinen Hund auch noch den Platz verunreinigen lassen.“ – Ha, nicht mit mir!
So, Luna, komm. Zähne putzen und ab durch die Mitte der Elbe-Halbinsel. In der seit gestern neuen KLM-Betriebsart „fliegen“ wir über die Landzunge.
An der Schanzenstraße finden wir das eine und andere fotografisch lohnenswerte Motiv und zufällig auch das Haus und einige unter freiem Himmel aufgestellte Werke des Illustrators und Bildhauers Jonas Kötz. Na, wenn das kein Glücksfall ist!
Landschaftlich erinnert mich Krautsand an die Wesermarsch, in der wir sehr lange lebten. See- und Flussdeiche, Einzelhöfe auf Wurten gelegen und die grüne Küste. Also „so oder so“ denke ich, ich bin „in der Wisch zwischen Waddens und Burhave“. Wie veranschauliche ich diese Landschaftsform nun den nicht unterrichteten Zeitgenossen in verständlichen Worten? „Krautsand reiht sich unauffällig und dezent in die geomorphologische Oberflächenformen im Gebiet der nordwestdeutschen Küsten und Flüsse ein“. Na, geht doch.
„Wo ein Anfang ist, muss auch ein Ende sein.“ – Wir brechen unsere Zelte in Krautsand ab und fahren gen Heimat über die Bundesstraße 73 in Richtung Cuxhaven. Dort wollen wir uns noch ein wenig umschauen. – Wie sollte es auch anders sein? – Es beginnt zu regnen. Nein, nicht mit uns. Wir starten durch und fahren heim. – „usA“ (unser schönes Ammerland), Du hast uns wieder!
„Und wann geht´s wieder los?“