Irgendwann zum Jahresende im Ausklang der 1980er Jahre trat die “Mutter der Batterie” an mich heran. Gesucht wurde ein Nikolaus. Lage, Auftrag und Durchführung waren schnell erklärt und verinnerlicht und bevor ich mich versah, trug ich das „Kostüm, Jahresausklang, rot-weiß, kunstpelzbesetzt“.
Standesgemäß reiste ich als „Abt aus dem Kloster von Sion“ an. In einer Kutsche umrundete ich, Glocke schwingend, das Küchengebäude der Stadland-Kaserne. Schnell erblickte ich die „höchstens“ sechs bis acht Kinder, wie sie mir mein „Spieß“ angekündigt hatte.
In seiner sittsam-bescheidenen Art hatte er mir allerdings die zusätzlichen 28 Kinder, die sich himmelhochjauchzend und mit roten Wangen ihre kleinen Nasen an den beschlagenen Fenstern des Speisesaales plattdrückten, verheimlicht. Ich wähnte mich bis dahin gut vorbereitet. Hatte ich doch im Vorfeld mit einigen Elternpaaren, es waren tatsächlich dieser nicht mehr als sechs gewesen, Details über die „Großtaten und Späße“ der Kleinen aus dem ausklingenden Jahr besprochen. Ich war angesichts der “höchstens sechs bis acht Kinder” ein wenig überrascht. Aber wir alle wissen: Es gibt nichts, was der Nikolaus nicht bewerkstelligt.
Keiner hatte mich darauf vorbereitet, dass wir samt Kutsche und Pony den Speisesaal erobern werden. In akkurater Millimeterarbeit bugsierte uns der Kutscher durch die doppelten Schwingtüren des Gebäudes. Er beruhigte erst den Nikolaus, dann den „Mustang“ als dieser auf dem ebenso glänzenden, wie glatten Boden, trotz ausgelegter Gummimatten, ins Schlingern zu geraten drohte und parkte die Kutsche inmitten einer aufgeregten Kinderschar und inmitten der Truppenküche.
Eh ich mich versah, stellten sich die Kinder in Reih´ und Glied vor der Kutsche auf. Das Pony wurde ausgespannt, ich kramte ein dem Anlass entsprechend geschmücktes, altes Wachmeldebuch unter der Sitzbank hervor. Los ging´s: Gedichte wurden aufgesagt, Weihnachtslieder angestimmt. Ich hatte mit den Elternpaaren der unvermutet nun ca. 35 Kinder zuvor abgesprochen, dass sich die Eltern des jeweiligen Kindes, das sich zu mir in die Kutsche setzte, durch flüchtiges und „vorweihnachtlich geprägtes“ Kopfnicken bemerkbar machten. So konnte ich die Seite mit dem jeweiligen persönlichen und durchweg sehr liebevoll verfassten Spickzettel über die Husarenstücke, „Heldentaten“, Mutproben, Wagnisse und Streiche der Kleinen aufschlagen.
Freude, Verblüffung und Überraschung bis hin zur Sprachlosigkeit stand den Kindern ins Gesicht geschrieben. „Woher weiß er, dass ich nicht gern mit dem Füller schreibe/den Sessel mit einer Kerze fast abgebrannt habe/den Teppich mit Schuhcreme verschönert habe?” – “Gibt es diesen sagenhaften „Wälzer unserer Sünden und Streiche“ tatsächlich?“
Dann wurde ich Ohrenzeuge eines Dialogs, bei dem ich mir das Lachen kaum verkneifen konnte. Ich muss erklären: Ich trug zu dieser Zeit einen Vollbart. Damit dieser den weißen Bart des Nikolauses nicht „überschattete“, hatte mir die Kantinenwirtin Weihnachts-Schneespray „zu Tarnzwecken“ überlassen. Perfekt für die Erstellung von Schneeeffekt-Mustern auf Fenstern und Glastüren, eignete sich dieser Schnee (fast) vorzüglich zur Kaschierung meines dunklen Bartes. Nur ein hartnäckiger Wirbel ließ sich nicht verbergen. Diesen bemerkte eines der Kinder. Es ergab sich folgendes Gespräch: 1. Kind: „Du, der Nikolaus hat gar keinen weißen Bart.“ 2. Kind: „Was? Ehrlich?“ „Ja, sieh mal genau hin!“ „Tatsächlich!“ „Aber nix verraten! Sonst gibt es keine Geschenke!“
Es gab sie doch und ich habe sie an diesem Tag sehr gern verteilt.