Ein wunderschöner Frühlingstag. Luna und ich beschließen, einen Spaziergang durch Feld, Wald und Flur zu unternehmen. Wir stehen vor der Haustür und sofort strahlt uns die Sonne ins Gesicht. Die Luft ist frisch und voller Düfte.
„Frühling lässt sein blaues Band, wieder flattern durch die Lüfte, süße, wohlbekannte Düfte, streifen ahnungsvoll das Land …“ Luna scheint es zu gefallen, denn sie zitiert bereits Eduard Mörike, den Pfarrer und „Biedermeierdichter“.

Wir gehen durch den kleinen Wald und Luna zieht mich von einer Blume zur nächsten. Sie schnüffelt an jedem Strauch und jeder Wurzel, als ob sie jedes Detail der Landschaft in sich aufnehmen möchte. Ja, das will sie heute auch. Und so laufen wir weiter durch die Wiesen und Felder.
„Es ist zwar bereits April, aber das literarische Konzept der Merzdichtung, will mir nicht aus dem Kopf.“ Oh, wie habe ich darauf gewartet, dass dem Frollein wieder ein „gebildetes Thema“ in den Sinn kommt. „Merzdichtung mit „e“, Luna. Nicht mit einem „ä“.“ Ich konfrontiere sie mit dieser Tatsache und hoffe, sie damit zum Schweigen zu bringen.
„War es nicht der deutsche Künstler Kurt Schwitters, der diese Art der experimentellen Dichtung, die sich durch ihre Collagen-ähnliche Struktur auszeichnet, entwickelte?“ „Ja, Luna. Kurt Schwitters (1887-1948) gilt als der bekannteste Vertreter der Merzdichtung. Für diesen Stil ist sein Gedicht „An Anna Blume“, das aus einer Reihe von absurden und oft unsinnigen Sätzen besteht, die jedoch in ihrer Gesamtheit einen gewissen Sinn ergeben, auf jeden Fall als Musterbeispiel zu nennen.“

Der Zufall wollte es, dass ich beiläufig auf einen Artikel über Merzdichtung gestoßen war: Sie besteht aus einer Sammlung von Wörtern, Sätzen und Fragmenten, die aus verschiedenen Quellen stammen können. Diese werden dann auf unkonventionelle Weise miteinander verbunden, um neue Bedeutungen zu schaffen.
Und ohne ihre Antwort zuzulassen oder einen ihren neumalklugen Sprüche abzuwarten, fahre ich fort: „Das Ziel der Merzdichtung ist es, die Sprache und die Worte selbst zu dekonstruieren und neu zu arrangieren. Durch diese Technik sollen neue Bedeutungen und Interpretationen entstehen, die durch herkömmliche literarische Methoden nicht erreicht werden können.“

Gewonnen? Nichts kommt mehr aus der Richtung meiner treuen und intellektuell immer wieder gern und verlässlich herausfordernd-kämpferischen Begleiterin. Ich-ha-be-tat-säch-lich-ge-won-nen! Unfassbar. – Nach fast zwei Stunden kehren wir zurück. Luna wirkt erschöpft. Körperlich oder geistig? Ich weiß es nicht. Sie kuschelt sich in ihr Bett. Und ich bin mir bereits jetzt ganz sicher: „Sie hat einen neuen Plan.“
Für Interessierte hier Schwitters Gedicht „An Anna Blume“ aus dem Jahr 1919:
Quelle: https://www.literaturwissenschaft-online.uni-kiel.de/dadaismus-iv/