Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. – Aus dem eigentlich „gebuchten“ wellness-Aufenthalt für unseren Antara wird ein mittelschwerer chirurgischer Eingriff. Plötzlich pfeift uns der Turbolader aus. Grund genug, diesen zu entlassen. Klingt augenblicklich ganz lustig, ist aber ein ganz schön teurer Spaß.
Nach vier Tagen wird unsere „Zugmaschine“ als geheilt entlassen. Wir denken nicht lange nach: „So what? It´s only money“, sagt unser Onkel Bill immer. Den aufgerüsteten Big Bianco im Schlepp starten wir ins Emsland. Noch ein paar Tage die Seele baumeln lassen, bevor es nach dem Urlaub wieder frisch ans Werk geht.

„Hitzige“ 29,5 °C, eine Luftfeuchtigkeit wie in einer thailändischen Garküche während der Monsunzeit und ein gewohnt freundlich lächelnder Herr Sandker empfangen uns im Emstal. Schweißtreibend ist der Aufbau des Big B. Außerdem scheinen sich alle stechenden und blutrünstigen fliegenden Verbände von Mücke, Bremse & Co. dahingehend verabredet zu haben, mich heim zu suchen. Was diese lebensmüden und unerwünschten Flugobjekte nicht bedacht haben, ist der Umstand, dass ich Mückenschutzmittel für die gesamte emsländische Bevölkerung und die Bewohner des niederländischen Grenzgebietes im Big B. „gebunkert“ habe. „Halt! Flugverbot oder ich autanisiere!“ Ich bin bereit und fest entschlossen, es drakonisch einzusetzen.
In einem Umkreis von 150 Metern verlieren plötzlich gesunde Bäume und Sträucher ihr Laub, Ringeltauben geraten ins Trudeln, Rotkelchen und Zaunkönig stellen ihren Gesang ein und die beste aller Ehefrauen fragt mich unvermittelt, wann ich zu duschen gedenke. Nichts da! Bevor nicht die letzte Mücke und Regenbremse das Feld geräumt haben, werde ich notfalls mit dem vor stechenden Quälgeistern schützenden Mittel gurgeln.

Wir bekommen einen neu angelegten Stellplatz. Der Nachbarplatz ist noch nicht vollständig erschlossen, so dass wir uns ausbreiten dürfen. Auf anderen Campingplätzen würden auf der uns heute zur Verfügung stehenden Fläche zwei Wohnmobile, ein Caravangespann, eine kleine Wanderbühne und ein Ultraleichtflugzeug untergebracht werden.
Um 01.20 Uhr fühlt sich das Frollein berufen, „SuShi“, den Sustrumer Sternenhimmel, zu kontrollieren. „SuShi“ nutzt allerdings die momentane Urlaubsphase und glänzt durch Abwesenheit.

07.00 Uhr. Ähnlich wie Colonel Hathi’s Dschungelpatrouille aus Walt Disney´s „Dschungelbuch“, drehen die Heidewachtel und ich unsere erweiterte Sustrumer Runde. Im Emstal ist alles ruhig. Fast alles. Eine Ente und ihre drei Küken sind so draufgängerisch und lassen sich vor unseren Augen im Sielgraben Sustrum I „treiben“.

„Wo kommen wir denn da hin, wenn hier jeder macht, wonach ihm gerade der Sinn steht?“ Platsch! Aus guten 2,50 m Höhe hechtet bzw. „münsterländert“ Luna ins Sieltief, um dieses „Herumtreiben“ kurzerhand zu „dezentralisieren“. Ein Warnruf des Altvogels. Die Küken drücken sich in die Uferböschung und „schleichen“ davon. „Daisy Duck“ mimt die „lahme Ente“ und entfernt sich in entgegengesetzter Richtung von ihren Küken. Luna fällt darauf herein und folgt ihr bis in ein Getreidefeld.

„Oh, wundersame Heilung!“ Plötzlich ist Misses Duck kerngesund, steigt unversehrt auf und fliegt quicklebendig davon. Ich höre sie noch lange im wieder vereinten Kreise ihrer drei Küken schnatternd lachen.
„Oh, oh, oh.“ Verständnislos-züchtigendes-Mahnen der Aktivisten, Mitglieder und Freunde verschiedenster Tierschutzverbände dringt an mein Ohr. „Der Hund jagt!“ – „Nein, Luna „überwacht“.

08.50 Uhr. Sintflutartiger Regen versucht, „unser“ Emstal zu fluten. Die Sonne schaut derweil weg, versteckt sich hinter einer geschlossenen Wolkendecke.
Es wird nichts aus unserer Schauvorführung: Thule Sun Blocker im strahlungshemmenden Einsatz. Gestern noch großartig angekündigt, bleiben die Teile nun im Staufach und warten weiterhin auf ihre schattenspendende Berufung im Zweistromland.

Tags darauf drehen das Frollein und ich erneut unsere Colonel-Hathi-Runde. Luna, an der Leine, drängt in Richtung Sielgraben. Nix da, die Entenfamilie darf sich am heutigen Morgen treiben lassen. Außerdem habe ich nicht die geringste Lust, die Heidewachtel erneut einer Grundreinigung zu unterziehen. Ihr gestriger „Badeaufenthalt“ erforderte eine intensive Säuberungsaktion.

Wir stehen auf der Brücke an der Brinkstraße und blicken auf die Ems. Jeden Morgen ein neues, ein anderes Bild. Ich habe inzwischen gefühlte 100 Aufnahmen allein aus dieser Perspektive gemacht. Seit 07.00 Uhr sind es nun weitere zehn Fotos. Beinahe meine letzten Bilder. Vor einer langgezogenen Kurve höre ich das Auto heran rauschen. Ich gehe zur Straßenmitte, damit wir frühzeitig erkannt und besser gesehen werden. Ja, werden wir. Na, dann ist ja alles in Ordnung. Wir kehren zurück an den linken Straßenrand. Mit maximal möglicher Geschwindigkeit und beachtlichem Unverstand „fliegt“ der Silberpfeil an uns vorüber. – Warum denke ich gerade jetzt an den Leichtmatrosen aus der Kinderserie „Käpt´n Blaubär“? Ja, richtig! Sein Name ist „Hein Blöd“.

07.20 Uhr. Wir stehen wieder auf dem Campingplatz im Emstal. Es ist noch kühl und die Luft feucht. Stille. Kein Wunder: Urlaubs- und Sommerferienzeit. Da entspricht 07.20 Uhr in etwa Mitternacht. Nur Amsel, Drossel, Fink und Star halten sich nicht daran und trällern aus voller Brust während sich die ersten Buchfinken bereits zum Frühstück im nahe gelegenen Getreidefeld versammeln.
Apropos Frühstück. Ich sitze schon wieder und schreibe. Eine verwaiste Kaffeemaschine blickt in meine Richtung, der Tisch ist nicht gedeckt, da vom iPad und der „spreewaldgeladenen“ Tastatur besetzt. Ganz zu schweigen von Tassen, Tellern und Besteck, die sich noch in den Schränken räkeln. – „Herr, lass´ mich eine halbwegs plausible Ausrede finden!“

Wir wollen die Gedenkstätte Esterwegen, die an alle 15 Emslager und ihre Opfer erinnert, besuchen. Von Sustrum ist die Gedenkstätte schnell über die Bundesstraße 401 zu erreichen. Wenn diese nicht gesperrt wäre. Über abenteuerliche Umwege gelangen wir nach über 40 Kilometer an unser am Küstenkanal gelegenes Ziel. Am Tor erfahren wir, dass wir mit unserer tierischen Begleiterin nicht hinein dürfen. Luna Ende Juli im Auto zu lassen, kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Und sie für die Dauer unseres (Gedenk-)Besuches des einstigen Gefangenenlagers vor dem Tor anzuleinen, ist genauso tabu. So beschränkt sich unser Aufenthalt auf die moderne Formensprache außerhalb des ehemaligen NS-Terror-Lagers: Stahlelemente, die für Gewalt und Bedrohung stehen, wie sie einst von diesem Ort ausgingen. Der Besuch eines angrenzenden MoorInfopfads führt unsere Fahrt nach Esterwegen dann nicht vollkommen ad absurdum. Dennoch bin ich sehr enttäuscht.

Auf der Rückfahrt ins Emstal kommen wir nicht am NP-Markt in Walchum vorbei. „Niedrige Preise, clevere Kunden“ wirbt der Verbrauchermarkt. „Wir brauchen doch etwas, oder? Irgendetwas fehlt uns doch.“ – Ich bin ein cleverer Kunde. Ich muss da rein!
Ja, da sind sie doch auch schon, diese leckeren festkochenden Speisekartoffeln. Handverlesene, glattschalige und wohlschmeckende „Drillinge“, wie es sie nur im Walchumer NP gibt. Ja, eventuell auch bei Edeka in Wiefelstede, in Metjendorf, in Rastede, Oldenburg und …, aber die Walchumer, die schmecken ganz anders, so handverlesen-glattschalig, so niedrigpreisig-clever!
Rein zufällig finden sich später noch sechs Flaschen eines hopfenhaltigen Erfrischungsgetränkes aus Wernigerode, zwei Paar Landjäger aus dem Schwarzwald und eine Miniflasche aus dem Nichts, wo kommt sie nur her(?), eines sehr bekömmlichen Kräuterdestillats im Einkaufswagen. „Wer trinkt denn Hochprozentiges?“ – Ich. Und zwar ohne zuvor die Packungsbeilage zu lesen.

Sehr früher Sonntagmorgen. Die Gedenkstätte Esterwegen geht mir nicht aus dem Sinn. Nicht, weil man uns in Begleitung unserer Heidewachtel dort nicht einließ. Nein, vielmehr sind es die Schicksale der einst dort festgehaltenen NS-Opfer. Ich brauche Luft. 03.00 Uhr und allein vor dem Wohnwagen stehend höre ich die letzten ausklingenden Takte aus dem Schützenfestzelt in Steinbild und von einem „runden Geburtstag“ in Sustrum. „SuShi“ macht sich auch in dieser Nacht rar.
Emsige Betriebsamkeit sprudelt durch das Emstal: hier wird ein Vorzelt gereinigt, dort eine Sat-Anlage abgebaut, Staufachklappen rasten ein und Campingmöbel wandern in ihre Transporttaschen. „Herstellen der Marschbereitschaft“, so kenne ich es aus meiner Zeit „beim Bund“ und so praktizieren wir es heute auch. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass unsere „Marschkolonne“ aus einem Zugfahrzeug und dem Big Bianco besteht. Vorbei sind die Zeiten, als ich mit bis zu 130 Soldatinnen und Soldaten in überlangen, überbreiten und schwersten Fahrzeugen, die dazu beitrugen, den bundesdeutschen Luftraum zu überwachen, zu unmöglichen Zeiten auf Reisen ging.

Wir verreisen heute auch. USA (unser schönes Ammerland) und die Arbeit rufen. Jedoch nicht so laut und gebieterisch, dass wir nicht Zeit und Gelegenheit fänden, an einen erneuten Besuch des Zweistromlandes zwischen Ems und Dortmund-Ems-Kanal zu denken.
„Die größte Sehenswürdigkeit, die es gibt, ist die Welt – sieh sie dir an.“ – Kurt Tucholsky