Emsland – Größer als das Saarland

In der Hoffnung, die vor gut drei Wochen eingestürzte Markise könnte repariert sein, plane ich für das Wochenende eine Fahrt ins Emstal. In der Nähe befindet sich der Fendt-Händler unseres Vertrauens. Vielleicht klappt es ja und ich kann die Thule Omnistor bereits in Papenburg abholen. – Nein, es klappt nicht.

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Blick aus dem „Emstal“ in Richtung Brinkstraße

Das Frollein und ich starten in Richtung Sustrum. Die beste aller Ehefrauen brach bereits vor einigen Tagen zu einer Messe auf. – „Sturmfreie Bude für Mann und „Maus““.

Pünktlich mit unserer Abfahrt beginnt es zu regnen. Nach einer knappen halben Stunde ist das niederschlagende Ereignis vorüber. Wir rollen längst auf der Autobahn.

Die Wanderbaustelle auf der A28 hat es inzwischen zwischen die Anschlussstellen Leer West und Nord verschlagen. Wir haben uns bereits rechts eingeordnet und sind mit großzügigen 60 Km/h auf dem Weg in die einspurige construction area. Die mit gelben Blink- und Lauflichtern versehenen Warnbaken sind zum Greifen nahe, da bietet uns der Fahrer einer schwarzen und betagten C-Klasse Rowdytum vom Feinsten. Keine Lücke ist so eng, dass nicht ein gealtertes T-Modell dazwischen passen könnte. Und falls nicht, dann drängt man naive Verkehrsteilnehmer, die so wacker sind und sich an die Verkehrsregeln halten, einfach ins Abseits. Ganz kurz flammt in mir der verwerflich(st)e Wunsch auf, dieser WHV-Hooligan möge in die Absperrung driften. Doch: Nein! Wir sind zivilisiert, wir haben Anstand und üben uns in Nachsicht im Umgang mit abgeglittenen Seelen. Nun fährt „der“ dennoch kilometerlang vor mir her, weil „der“ Verwirrte den PKW, dem ich bereits getreulich folgte, in der engen Gasse ebenfalls nicht überholen kann. Obwohl, bei diesem ungestümen Zeitgenossen bin ich mir nicht vollkommen sicher, ob nicht doch.

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Nicht unbedingt der Fischfang in küstenfernen Gebieten der Ozeane ist das Non-Plus-Ultra. Der größte reine Süßwasserfisch Europas lockt die Petrijünger auch auf die Ems: der Wels oder Waller

Walchum. NP Markt und die Bäckerei Ganseforth. Wo, wenn nicht hier? Schnell habe ich die fehlenden Lebensmittel und natürlich einige Exemplare des so einzig im Geschmack und kühl sowie dunkel zu lagernden majestätischen Erfrischungsgetränkes besorgt. – Emstal wir kommen!

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Big B. ohne seine „an einem Objekt befestigte Gestellkonstruktion mit Bespannung“ aus dem Hause Thule

Damit es durch und durch schmerzt, wähle ich wieder den Stellplatz, auf dem mir vor gut drei Wochen die Omnistor 5200 auf den Kopf fiel. Naja, das kann sie heute nicht, denn sie glänzt weiterhin durch Abwesenheit.

18.15 Uhr. Luna sitzt vor mir. Ihr hypnotischer Blick spricht Bände: Hunger! Natürlich. Und da ich schon einmal die Fütterung des „Raubtieres“ vorbereite, schnell den Elektrogrill aufgebaut und selbigen vorgeheizt.

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Ich sehe uns schon auf dem Weg zum „Alten Wehr“ in Fresenburg

Warum schaltet sich das Radio aus? Weil der Grill einen Kurzschluss hat. Sobald ich ihn anschließe, gehen im Big Bianco die Lichter aus. Und natürlich auch das Kenwood (Radio). Ist es nicht schön? Ja, es ist nicht schön.

Irgendeine höhere Macht möchte nicht, dass ich Spaß am und beim Campen habe. Doch diese „dunkle Seite der Macht“ hat ihre Rechnung ohne meine freundlichen Nachbarn gemacht. Diese stellen mir wie selbstverständlich ihren Grill zur Verfügung und schon klappt es mit den Grillwürstchen. Und wenn unser Elektrogrill meint, er könne sich so sang- und klanglos aus der BBQ-Szene verabschieden, so hat er sich exorbitant geirrt. Ich habe die Grundlagen der Elektrotechnik in den 1970/80er Jahren bundeswehrintern verinnerlicht. Ich habe bereits Radargeräte gewartet und repariert, da wusste dieses treulose Grilldingsbums noch nicht einmal, was ein Hähnchenschnitzel ist! – Na, warte! Dir werde ich das Ohmsche Gesetz, die potentielle Energie einer Ladung und Spannung nebst Kirchhoffscher Regeln, also den Knotenpunkt- und den Maschensatz, schon näher bringen.

„04.00 Uhr“, ruft mir der Sustrumer Glockenturm zu. 04.30 Uhr und 05.00 Uhr lässt der Bursche auch nicht aus. Irgendwann schlafe ich wieder ein.

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Schwanensee. Auf der alten Ems

Uih, es ist kühl geworden. Aber der Thermostat „der Truma“ ist programmiert und wenn die Heizung nicht anspringt, na, dann mal nicht „leibhaftig“ schwächeln. Aber: „Was ist jetzt schon wieder?“

Um 07.30 Uhr stelle ich fest, dass der Big Biancosche Heiztrumatisator überhaupt nicht anspringen kann. Die Eskapaden des Elektrogrills und die der „herausgeflogenen“ Hauptsicherung haben die Heizung ins „Standby“ versetzt. „Ich bin zwar anwesend, werde aber ohne neue Kommandos nichts unternehmen“, sagt mir im wahrsten Sinne des Wortes das fendtsche „Mäusekino“.

Man kann Brötchen holen, man kann aber auch das Brötchenholen wahrhaftig kommunizieren, ja zelebrieren. „Was heißt das?“ möchten die geneigten Leserinnen und Leser wissen. Es lässt sich nicht mit wenigen schmucklosen Worten erklären, aber ich will es dennoch versuchen: das weltpolitische Geschehen kurz interpretierend, schwenken Herr Sandker und ich über in die Kommunal- und Lokalpolitik, analysieren aktuelle meteorologische Konstellationen, diskutieren ansatzweise die Innovationen auf dem Gebiet „Freizeit und Caravan“, um dann ins „Eingemachte“ zu gehen. Darunter verstehen wir Fakten! So z.B. Ausflugsziele „um Sustrum und drum herum“.

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Wenn der landwirtschaftliche zum Waldweg wird

Das alte Wehr bei Fresenburg soll mein heutiges Ziel werden. Als wir die Karte studieren, kann ich mir eine Bemerkung über den „Schinken“, einem Waldgebiet westlich der Ortschaft Düthe und in einem Bogen der Ems gelegen, nicht verkneifen. Doch ich möchte zum alten Wehr.

Von magischen Kräften unbemerkt gezogen, landen das Frollein und ich, „be- oder verhext“, der Fresenburger Brookstraße folgend „in the middle of nowhere“. Im „Schinken“. Gut, wenn wir schon einmal da sind, dann „Heia Safari!“

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Brookstraße. Blick in Richtung Düthe

Wir folgen der Brookstraße, die später mit der Katwinkelstraße in einen landwirtschaftlichen Weg mündet, der dann zu einem Waldweg wird. Dieser endet an einer Kreuzung und führt uns tiefer in den Schinken. Oh, welch Doppelsinn! „Wir sind Abenteurer, wir sind Scouts, wir sind unerschrocken, mutig, unbeugsam, wir … sind naiv.“ Bis jetzt glaube ich noch daran, aus dem Schinken heraus entlang der Ems an das alte Wehr bei Fresenburg zu gelangen.

Tatsächlich erreichen wir die Ems! An einer Stelle, die vor uns ca. um 4000 v. Chr. einzig von einem Vertreter der Trichterbecherkultur, der sich hier vollkommen verirrt haben muss, begangen worden sein mag. Durch Sträucher, Büsche, Unterholz und Nesseln arbeiten wir uns, stets begleitet von gefühlten 1.473 Mücken, die uns sehr „mögen“, mit der Geschwindigkeit einer untrainierten Weinbergschnecke voran. Luna ist begeistert. Ich zerstochen, „gebrennesselt“ und geschunden. Diese Mücken besitzen keinen Stachel. Sie verfügen über Injektionsnadeln. Sie summen nicht, ihr Flugprofil erinnert an die Sturzkampfbomber vergangener, sehr diabolischer Zeiten. Und sie tragen, so glaube ich es zu erkennen, das Stirnband der japanischen Shimpū Tokkōtain (Kamikaze-Spezialtruppen). – Ich will zurück! Doch das mache jemand einer jagdlich sehr aufmerksamen und wissbegierigen Kleinen Münsterländerin klar, die gerade erst beginnt, sich „in Stimmung zu spüren“!

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Die alte Kapelle in Fresenburg

Nach 1,5 Stunden sind wir wieder am Auto. Dem Herrgott sei es gelobt. – „Ab an die Bar!“ Es gibt … klares Wasser. Was sonst? Lunas Blick sagt mir: „Klasse! Das machen wir jetzt jeden Tag!“

Ich sehe an mir herauf und herunter und gewinne den Eindruck, mich mit gröbster Schleifpaste eingerieben zu haben. Von meinen Armen tropft mein Blut aus zerschlagenen Mücken, die annähernd die Größe eines Kolibris besitzen. Das ist alles halb so schlimm. Wie erkläre ich Herrn Sandker, nicht am alten Wehr gewesen zu sein? – Ich werde darüber in „majestätischer Gesellschaft“ (König Pilsener) sehr intensiv nachdenken müssen.

01.10 Uhr. Die ideale Zeit um auf dem Tritt vor dem Big B. zu sitzen und in Richtung alte Ems zu lauschen. Stockenten geben sich ein Stelldichein. Und weil es sich um Stockenten handelt, verstehe ich ihre Unterhaltung.

„Habt Ihr ihn auch gesehen? Den Mann mit Hund, der am heutigen Morgen versuchte durch das Unterholz „im Schinken“ an die Ems zu gelangen?“
„Wie blauäugig muss man sein, um das zu wagen?“
„Ich weiß es auch nicht, aber es sah schon drollig aus, wie er da durch die Sträucher purzelte.“
„Seine Begleiterin war echt sportlich. Wie sie sich ihren Weg bahnte, aber er!“
„Leute, meint ihr den Burschen, der mit seinem Wohnwagen nebenan im Emstal steht? Der, dem es vor drei Wochen die Markise zerlegte?“
„Klar, wen sonst.“
„Er sitzt vor seinem Caravan und blickt interessiert in unsere Richtung. Ich denke, er versteht jedes Wort!“
„Ha, selbst wenn, wir sehen doch alle gleich aus. Wie will der uns erkennen?“
„Vorsicht! Der „Schinkenhäger“ war bei der Bundeswehr. Der kennt sich aus mit Flugobjekten und er kann Uniformen unterscheiden!“ – Abrupt herrscht Stille auf der alten Ems.

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Der Versuch, sich auch nur ihrem Kissen zu nähern, wäre erfolglos

„Los, hör´ auf zu grübeln und geh´ wieder ins Bett.“ Lunas feuchte Nase stupst mich von hinten an. „Vergiss´ die Ungereimtheiten der vergangenen Tage, ob fendtscher oder sozialdemokratischer Natur, und versuch´  zu schlafen.“

„Recht hat sie“, vernehme ich es plötzlich aus dem Gebüsch neben mir. Ein schlaftrunkener Buchfink plustert sein Gefieder auf, streicht mit dem Schnabel einige widerspenstige Federn auf seiner Brust zurecht und zwinkert mir zu: „Gute Nacht, Dr Dolittle.“

Der Besuch des alten Wehrs bei Fresenburg steht also noch aus. Ein weiterer und gewichtiger Grund, wieder einmal ins Emstal zu reisen. Dann aber in Begleitung der besten aller Ehefrauen. Die Leute denken ja schon, ich sei vor ihr auf der Flucht, weil ich mich immer allein in Sustrum verirre. – In Sustrum verirre oder nach Sustrum verirre? – Ja, letzteres auch!