„Die Welt ist ein Buch …

… Wer nie reist, sieht nur eine Seite davon. “ – Augustinus Aurelius

„Das ist ja wohl nicht Euer Ernst?“ Wir rollen von der Auffahrt und erste Proteste schallen uns aus dem Maschinenraum des Antaras entgegen. „Was habt Ihr denn geladen? Bleiplatten?“ Nein, die nun gerade nicht, aber für unsere geplante Fahrt durch die Republik ist schon so einiges zusammengekommen. Ich würde nun gern ein paar Beispiele nennen, habe aber mal wieder keine Ahnung, denn die beste aller Ehefrauen hat gepackt, verstaut und für gut befunden, was in den Big Bianco wandert.

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Das „blaue Wunder“ in Güster: die Brücke über den Elbe-Lübeck-Kanal im Zuge der Göttiner Straße und Am Kanal

Wir wollen erst einmal nach Güster an den Elbe-Lübeck-Kanal. Wenn unsere Hochrechnung aufgeht, dann sind wir noch vor der zweistündigen Mittagsruhe am Platz und können uns häuslich einrichten. Wenn die Rechnung aufgeht. Als erstes macht uns der Fahrradträger, den wir bis dato nicht testeten, eine Strich durch die Hochrechnung. Ich muss eine Pedale abschrauben, sonst passt es mit den beiden Fahrrädern auf dem Träger nicht hinten und nicht vorn. Mit leichter Verspätung, sofern man im Urlaub von Verspätung sprechen kann, rollen wir auf der A1 gen Hamburg.

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Irgendwann starten sie durch zu den Talhängen bei Göttin, aber zuvor wird noch im E-L-K (Elbe-Lübeck-Kanal) „gepaddelt“

Kurz hinter dem Horster Dreieck und dem Maschener Kreuz erwischt es uns dann kalt. 13 Kilometer Stau. Baustelle. Aus der Traum vom flinken Aufbau und genüsslichem Mittagessen in Güster.
Um 14.00 Uhr trudeln wir im Naturpark Lauenburgische Seen ein und die persönliche Begrüßung an der Rezeption am Prüßsee und der unkonventionelle Imbiss im Big B. lassen uns die „Zeitverschiebung“ schnell vergessen.

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In den 1930er Jahren hatte Wally Byam die Idee zu einem geräumigen Wohnwagen: Airstream

Wir nutzen die Zeit bis zum Ende der Mittagsruhe und drehen eine Runde mit den Fahrrädern, suchen uns schon einmal einen Platz am Elbe-Lübeck-Kanal aus und „googlen“ nach einem Fahrradhändler, denn ich habe meinen Gelsattel mit einem der zahlreichen Haken meiner Lowa-Luis-Trenker-Gedächtnis-Gebirgsstiefel aufgeschlitzt. „Ist es nicht schön? Ja, es ist nicht schön!“ – 18.00 Uhr. Alles ist ein-, hin- und hergerichtet. Wir sind angekommen. „Das ist schön!“

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„Unter einem Regenschirm am Abend, hängt man sich zum ersten Male ein …“ (Hermann Prey )

Tags darauf gibt es ein paar Trainingseinheiten für Luna. Nach langer Zeit sind wir mit dem Rad unterwegs. Schnurgerade läuft sie neben uns an der Leine. Die eigentlichen Quertreiber sind die Lenkertasche mit dem Wasservorrat und die Kamera, die ständig gegen den Fahrradlenker schlagen möchte. Ich bin genervt. So genervt, dass ich beide Spaßverderber im Elbe-Lübeck-Kanal versenken möchte. Das mache ich natürlich nicht, auch wenn es heute schwer fällt. Die beste aller Ehefrauen leidet unter meiner „Bombenstimmung“. Das bedaure ich.

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Ein Sinnbild der Schadenfreude und des Spottes: Till Eulenspiegel. Der bekannteste Narr der Welt?

Am Nachmittag fahren wir in die Till-Eulenspiegel-Stadt Mölln. Nach einer gefühlten Ewigkeit entdeckt man uns im Café am Markt und serviert die größte kleinste Eulenspiegelei, die wir bis dahin unter einer Lawine von Sahne entdecken durften. Wir bekommen zwei Eisbecher mit jeweils drei Kugeln, die jede die Größe eines Pfirsichkerns besitzen. Na, wenn das nichts ist. Ja, das ist nichts, ganz und gar nichts. Till Eulenspiegel lacht sich derweil von seinem Denkmalspodest ins Fäustchen. Ich bilde mir ein, dass er jeden Moment seinen nach oben gereckten rechten Daumen an seine Nase führen wird.

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„Einsam irr ich durch den Regen, und ganz feucht ist mein Gesicht.“ Heinz Erhardt

Das Wetter bessert sich. Auch wenn es heute Nachmittag noch einmal regnen soll, beschließen wir, in Güster zu bleiben und verschieben die Fahrt nach Waren/Müritz auf eine der kommenden Reisen mit dem Big B.

In Büchen gibt es einen Fahrradhändler. Luna braucht eine neue Trainingseinheit und mein Fahrrad einen neuen Sattel. 10 Km geht es entlang des Elbe-Lübeck-Kanals, dann sind wir da. Herr Sandmann berät uns fachkundig und schon bald ziert eine neue Sitzgelegenheit meinen Drahtesel. Es beginnt zu regnen und so erfahren wir, den Schauer abwartend, beim Fahrradhändler unseres Vertrauens einiges über Büchen und umzu. Interessant wird es, als uns Herr Sandmann diskret von seinem ehemaligen Schulkameraden Dr Uwe Barschel erzählt.

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Benny aus Salzhausen

Luna hat auf dem Campingplatz in Benny von nebenan einen neuen Freund gefunden. Die beiden sind sehr damit beschäftigt, um die Wette zu laufen, zu raufen und zu balgen. Nicht eingeweihte Beobachter dieses „tierischen Kampfknäuels“ mögen es als bedrohlich, wenn nicht sogar als gefährlich empfinden, aber: „die wollen nur spielen“.

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Roggenbrötchen à la bonne heure. Und erst die Rumkugeln

Über den Prüßsee weht eine steife Brise. Und wenn es nicht gerade nieselt, dann regnet es, abgekühlt ist es auch. Enten und Gänse auf dem Elbe-Lübeck-Kanal tragen inzwischen ihre Öljacken und haben vereinzelt auch schon die Pudelmützen aufgesetzt, doch wir sind ja nicht aus Zucker. Allerdings stellt sich die augenblickliche Wetterlage etwas anders dar, wenn man bedenkt, dass ich im beheizten Big Bianco sitze und die beste aller Ehefrauen mit dem Fahrrad in Richtung Güster aufgebrochen ist. Ich denke, ich werde sie mit einem Glühwein empfangen. Das passende Getränk für Anfang Juli!

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Frischemarkt Güster in der Hauptstraße. Auch hier liebt man Lebensmittel

Der Minbackofen heizt vor. Weißwurst und Laugenbrezel stehen heute Mittag auf unserer weiß-blauen Speisekarte. Wenn schon norddeutsches Schietwetter, dann wenigstens einen süddeutschen Imbiss.

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Und wenn man ganz geduldig ist, dann sieht man auch so etwas

Am Nachmittag umrunden wir den Prüßsee und haben uns damit den Besuch in „unserer“ Taverne Inos in Güster verdient. Griechische Gastlichkeit wie wir sie mögen.

Am Morgen herrscht bereits reger Verkehr auf dem Elbe-Lübeck-Kanal. Ein Freizeitkapitän hört den Funkbetrieb der gewerblichen Schifffahrt ab und so erfahren wir, welche Ladung das Schiff „Glück Auf“ wo aufgenommen hat, wohin es diese bringt und dass es später in Richtung einer großen Stadt im Bereich der Flüsse Ohre, Elbe und Saale weiterfahren wird.

Ein Trecker mit Mähbalken rollt an uns vorbei. Das „weiße Wuscheltier“ vom Nachbarplatz, nein, nicht Benny, Lunas neuer Freund, sondern eben dIeses „Wuslon“, das gestern mit zwei weiteren Hunden und in Begleitung mehrerer Frauchen und Herrchen mit ihren Campingwagen eintraf, bellt sich die Lunge aus dem Rachen. Wuschel kann sich aber nicht in den Treckerreifen verbeißen, denn ein drei Stellplätze einrahmender mobiler Weidezaun hält Mensch und Tier zurück. Warum denke ich spontan an Anita Schiebukats Wanderbühne? Weil mich beide Frauchen an die Zirkusdirektorin Anita Schiebukat, „dem kräftig wohlgenährten Weibchen“ aus Siegfried Lenz´ neunter masurischer Geschichte „So war es mit dem Zirkus“ aus „So zärtlich war Suleyken“ erinnern? – Ein Schelm, der Böses dabei denkt! Doch so habe ich diese Anita stets vor Augen gehabt.

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Seepavillon am Prüßsee

Europameisterschaft 2016. Halbfinale. Deutschland: Frankreich. Public Viewing  im Seepavillon in der Freizeitwelt Güster. Wer sitzt beinahe in der ersten Reihe? Ich will keinen Namen nennen, aber 2014 floh ich noch mit dem „Flying Dutchman“ vor dem WM-Endspieltrubel an den Prüßsee, nun sitze ich mit meinen maximal ungenügenden fußballerischen Kenntnissen vor einem großformatigen Bildschirm an eben diesem See und hoffe auf das Weiterkommen der deutschen Mannschaft. Vergeblich, wie wir heute alle wissen. Ich habe nie aktiv Fußball gespielt, noch intensiv Fußball studiert, erlaube mir aber diese Feststellung: hätten unsere Jungs einmal das Holzfällerhemd angezogen, die Ärmel aufgekrempelt und einfach nur mal „draufgehalten“, statt sich in hochsensible und präziseste fußballerische Technik und Taktik zu verlieren, dann, ja dann …

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Gabel-Azurjungfer (Coenagrion scitulum)

Wir wollen weiter ins Biosphärenreservat Spreewald. Unschlüssig sind wir uns noch über die Reiseroute. Entweder „vor“ Berlin über die A10 vorbei an Falkensee und Potsdam oder „hinter“ Berlin vorbei an Bernau und Rüdersdorf oder die „Hardcore-Variante“ über die A111 und „mitten ins Getümmel“: Berlin inkl. ca. 30 Anschlussstellen von Henningsdorf bis zum Schönefelder Kreuz. „Man reist ja nicht, um anzukommen!“ Doch mit dem Big. B. am Haken sollten wir uns die Fahrt durch den „Ameisenhaufen“ ersparen. Plötzlich tendiere ich zur Variante Bernau-Rüdersdorf, denn dann könnten wir bei Marzahn noch den Abstecher nach Strausberg machen. Von hier aus kämpfte ich seinerzeit mit vielen Soldatinnen und Soldaten gegen die Oderflut. „Für ihre Einheit ist gesorgt“, hieß es damals vor unserer Abfahrt in Oldenburg. „Sie müssen sich um nichts kümmern!“ Jahrzehntelange „tarnfarbene Erfahrung“ ließ mich gegen bestehende Befehle verstoßen. Und so mussten wir nicht auf dem Boden schlafen, konnten mit Messer und Gabel und von Tellern unsere Verpflegung einnehmen. Und die ursprüngliche Verdammnis zum Nichttun, wir sollten die „Reserve der Reserve“ bilden, konnte ich dank eines „heißen Drahts“ zur übergeordneten Dienststelle verhindern.

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Im Oderbruch bei Hohenwutzen

Und da sind sie wieder, diese Bilder. Manchmal bis zu den Hüften im Oderwasser stehend, verlegen wir Sandsäcke. Gegen die wilden Heerscharen unablässig stechender Insekten haben wir unsere mit einem Mückenschutzmittel getränkten Dreiecktücher um Kopf und Hals geschlungen. „Ihre Männer tragen nicht die vorgeschriebene Kopfbedeckung!“ stellte daraufhin ein Stabsoffizier fest. Peinlich genau achtet er dabei darauf, dass seine Stiefel nicht zu schmutzig werden und rauscht dann davon. – Und ich will noch einmal nach Strausberg? Ganz bestimmt nicht.

Wir umrunden „janz Berlin“ via Bernau und Rüdersdorf. Es ist was los an diesem Freitag. Wir bleiben auf der rechten Spur und vermeiden unnötigen Stress „in the fast lane“. Doch einmal bin ich dann doch so weit und bereit, einem Fahrer, der uns übelst schneidet und nach allen Regeln der Kunst ausbremst, einen nicht zu kleinen „Strauß Veilchen“ zu überreichen. – „Lass´ Blumen sprechen!“

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Caravan- und Wohnmobilpark Lübbenau

Mit leichter Verspätung, sofern man sich im Urlaub verspäten kann, nehmen wir unseren Platz in Lübbenau ein. In der Nähe des Hafens, als gebürtiges Nordlicht lege ich gesteigerten Wert auf die Bezeichnung „Spreekahnhafen“, finden wir uns zwischen Wohnmobilen, die den Platz zu 95% belegen, wieder. Dicht gedrängt wie die Spreewaldgurken der Gurkeneinlegerei Willi Markus aus Lübbenau in ihren Gläsern, stehen die Fahrzeuge zur Wagenburg aufgereiht in der Dammstraße. Auf alle Fälle stehen sie bzw. wir hier besser als die „armen“ Wohnmobilisten mit ihren Gefährten auf dem heißem Asphalt an der Ecke Bahnhof-/Poststraße.

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Schloss Lübbenau

Wir besuchen den Garten des Schlosses Lübbenau, den Großen Kahnhafen und radeln auf dem Radweg ins Spreedorf Lehde. Hier werden wir von den Scharen der (anderen) Touristen förmlich erschlagen und können Luna nur schwer daran hindern, eine dieser ganz großen Enten (Paddelboot) zu apportieren. Als sie schließlich auf die „richtigen“ Enten trifft, gibt es kaum noch ein Halten. Zu gern würde sie den gefiederten „Freunden“ ihre Aufwartung machen. Wir verzichten auf den Besuch des „Wotschofska„, dem versteckt im Spreewald liegenden Gasthaus, denn schließlich kennen wir alle „Spreewaldkrimis“. Und mindestens eine Szene wird stets in dieser Lokalität gedreht.

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Platzregen in Lübbenau. Wir habben eine Gästekarte und damit stehen wir in der ersten Reihe 😉

Ich bekomme Schnappatmung. Was ist geschehen? Der „Tastatur-GAU (Größter Anzunehmender Unfall)“ ist eingetreten! Der Akku meiner bluetooth-Tastatur ist erschöpft! Nicht ein Buchstabe wandert mehr auf mein iPad. Wo bleiben Katastrophenschutz und Technisches HIlfswerk?

18 Stunden bin ich quasi gelähmt, dann haucht Jürgen der Tastatur neues Leben ein: besten Spreewald Strom. Die Rettung! Ab sofort ist der Datenfluss wieder hergestellt und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

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Handwerk vom Feinsten

Warum haben wir Tina und Jürgen nicht schon vor 1936 im Spreewalddorf Leipe besucht? Weil die von zwei Spreeläufen umflossene Insel erst seit 1936 nicht nur mehr per Kahn zu erreichen ist, weil wir keinen Kahn besitzen und, ich vergaß es, weil wir alle erst einige Jahrzehnte später geboren wurden. Heute sitzen wir im Auto, fahren an der Slawenburg Raddusch vorbei und freuen uns, die beiden auf ihrer Insel treffen zu können.

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Kurze Rast für Spreewald-Erkunderinnen

Eine kleine Unsicherheit begleitet uns: werden sich das Frollein und „Ewa“, der Jagdterrier der beiden, vertragen? – Natürlich! Und damit es nicht zu langweilig wird, gesellt sich noch „Lara“, ein Cavalier King Charles Spaniel, dazu. Wir sitzen in einem parkähnlichen Garten, dessen Anfang und Ende eigentlich nicht auszumachen sind, an einer reichlich gedeckten Kaffeetafel und lassen es uns sehr gut gehen. Während unseres Spaziergangs durch den Spreewald hält sich Lara dann ein wenig zurück, während Luna und Ewa sehr damit beschäftigt sind, akribisch die Wildwechsel entlang unseres Weges zu „katalogisieren“.

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Ewa aus Leipe

Unsere Fahrt gen Süden haben wir auf Grund der Wetterlage storniert. Wir kehren um und fahren nach Brandenburg zum Country Camping Tiefensee bei Werneuchen. Country Camping pur. Unser Stellplatz ähnelt der ausgedörrten Prairie, es fehlen nur die von der Sonne ausgeblichenen Rinderschädel, aber jeden Moment erwarte ich „tumbleweeds“, diese in jedem Western, von Staubfontänen begleitet, durch das Bild wehenden, vertrockneten, runden Sträucher, um meinem Entsetzen die Krone aufzusetzen. Fazit: wir stehen nicht wie gewohnt im satten Grün, sondern erleben eine sehr staubige Landung. Eine angestaubte Erfahrung, die man aber auch einmal machen muss. Das Auto dürfen wir nicht am Platz parken. Ein Umstand, den wir natürlich beherzigen, den uns der BVCD-Campingführer aber leider verschweigt. (M)Ein Grund ihn umweltgerecht zu entsorgen. Wir bauen nur notdürftig auf, fragen uns, warum hier dennoch alle mit dem Auto durch die Gegend kutschieren und werden sicherlich die ersten sein, die morgen abreisen. Ich lege großen Wert auf die Feststellung, dass das Team am Tiefensee stets freundlich, hilfsbereit und gegenwärtig ist! Unser Stellplatz war leider „unter aller Kanone“. – Camping in Brandenburg rund um Berlin könnte so schön sein.

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Die Tiefdruckgebiete Xolska und Zoe, die ausgedehnte Starkniederschläge brachten, hielten uns hier im Mai 1997 ganz schön auf Trab

Erst einmal flüchten wir vom Platz und fahren in den Oderbruch. Wir fahren nach Hohenwutzen und querfeldein nach Wriezen. Zwei Orte, die ich von meinem 1997er-Oderfluteinsatz noch sehr gut in Erinnerung habe. Als wir auf dem Deich stehen, beginne ich sofort nach Rissen in der Deichkrone zu suchen, hüpfe auf der Stelle, um die Festigkeit des Bodens zu testen. Wie im Mai ´97 als wir hier wie auf feuchten Schwämmen liefen. Ich höre das Klopfen der Hubschrauber, die unablässig Sandsäcke heranschaffen und habe die Stimmen der zahlreichen Helferinnen und Helfer in den Ohren und vor Augen den „gestiefelten Oberstleutnant“, der so besorgt um die Kopfbedeckung meiner SoldatInnen und Soldaten war.

In den Ortschaften hat sich viel getan, ich meine baulich verändert. Zum Beispiel ist das „kopfsteinige Rüttelstraßenpflaster“ einem „richtigen“ Straßenbelag gewichen. Aber egal, ob wir durch Bad Freienwalde oder die dicht an der Grenze zu Polen gelegenen Dörfer fahren, es ist absolut nichts los an diesem Sonntagnachmittag.

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Eine „Berghütte“ mitten in Brandenburg”. Die Waldschänke am Baa-See

Schließlich verfahren wir uns. Die vermeintlich landschaftlich reizvollere Strecke über Altranft und Sonnenburg nach Rädekow endet kurz hinter Sonnenburg auf der Wriezener Höhe (138 m). Wir stehen auf dem Parkplatz einer Waldschänke, die so versteckt liegt, dass wir unvermittelt nach Hänsel und Gretel Ausschau halten. Nun ist dies aber nicht irgendeine Waldschänke, es handelt sich um DIE „Waldschänke am Baa-See„, einer urigen „Berghütte“ mitten in Brandenburg. Hier ist das Ende unserer Weiterfahrt straßenverkehrsrechtlich angeordnet. Die Nebenstraße wird zum Wanderweg. Wir müssen wenden, aber nicht ohne zuvor die „Bärentatze“ und das lokale und in einer Privatbrauerei gebraute Pilsener getestet zu haben. Unsere unfreiwillige Irrfahrt beschert uns völlig neue Gaumenfreuden. – Wie bereits erwähnt: „Man reist ja nicht um anzukommen!“

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Kompetenzzentrum „Tiefensee“. Information ist Energie

21.00 Uhr. Anpfiff zum Endspiel der Fussball Europameisterschaft 2016. Im „Kompetenzzentrum EM Tiefensee“, einer Blockhütte in der Nähe unseres „Sandkastens“ (Stellplatzes), herrscht bereits seit dem späten Nachmittag helle Aufregung. Erste Analysen der vergangenen Spiele, Neuigkeiten zur möglichen Taktik der Mannschaften, Klatsch und Tratsch aus der EM-Regenbogenpresse und erste gewagt prognostizierte Spielergebnisse machen die Runde. Diese Runde begleiten auch einige „Bierchen“, die in einem roten 10l Eimer gekühlt werden. Ich bin mir sicher, dass sich das Kompetenzzentrum Tiefensee auch nach der EM weiterer aktueller Themen und Probleme von allerhöchster Brisanz engagiert, hopfenfreudig und intensiv oder auch intensiv hopfenfreudig engagiert widmen wird.

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Die „Bärentatze“

Wir sind nun doch auf dem Weg nach Waren (Müritz). Nur sehr kurz haben wir die Autobahn genutzt und fahren, die Strelitzer Seenplatte zur Linken, über Bundes- und Landstraßen in den Nationalpark. Rechtzeitig, aber zeitlich knapp erreichen wir Waren noch vor der mittäglichen Ruhestunde. Auch hier werden wir freundlich empfangen und dürfen uns einen Platz auf dem nicht parzellierten Gelände aussuchen. Wir machen uns auf den Weg, drehen eine Platzrunde, sind vom Getümmel in den einzelnen Sektionen schier überwältigt und verabschieden uns in Richtung Plau am See. – „This is not my cup of tea!“ pflegt unser Onkel Bill aus San Francisco zu sagen, wenn ihm etwas so ganz und gar nicht behagt. Auch wir „lehnen die angebotene Tasse Tee“ ab und starten durch.

In Plau am See ist es uns ebenfalls zu „gesellig“. Wie Schwalbennester drängen sich die Stellplätze aneinander. Menschliche Nähe ist wichtig, aber wir beabsichtigen nicht, beim Verlassen des Big Bianco bereits im Caravan des Platznachbarn zu stehen. Die beste Ehefrau von allen, die gleichzeitig auch die beste Lademeisterin und Navigatorin ist, hat längst die kürzeste Strecke nach Güster am Elbe-Lübeck-Kanal berechnet und dem Navi anvertraut. Wie von ihr richtig vorausberechnet und vom Navi bestätigt, stehen wir um 16.00 Uhr am Prüßsee, bekommen den Platz unserer Wahl und machen ab sofort „Urlaub vom Urlaub“. Und zwar auf einem Stellplatz mit einer geschlossener Rasendecke in sattem Grün, schattenspendenden Bäumen rings umher und einem großzügigen, hellen Sanitärgebäude. Luna hat den Platz längst inspiziert und für gut befunden. In ihrem Blick erkennen wir aber die Warunung: „Vorsicht, ihr könntet durch die Rufe der Kraniche geweckt werden!“ – Ja, da müssen wir durch.

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Bietet Schutz vor Sonne und reichlich Gesprächsstoff

Generalprobe. Die neuen Thule Sun Blocker für die Markise werden das erste Mal installiert. Sie hängen noch nicht ganz, sind noch nicht einmal ausgerichtet, geschweige denn befestigt, da ernten wir schon begeisterte Zustimmung. Ein radelndes Ehepaar auf dem Weg nach Mölln ist schlicht „von den Socken“. Allerdings verstehen wir immer nur: „Super!“ Beide sprechen Dänisch. Wir nicht. Dann hängen die „TSB“ (Thule Sun Blocker) und erfüllen bereits am Nachmittag zu 100% ihre Aufgabe. Sie blockieren die Sonne. Ein Gewitter zieht auf und sintflutartige Regenfälle taufen die beiden Neuankömmlinge im Team Big Bianco. Später lernen wir nicht nur die schattenspendenden Vorzüge der Sun Blocker kennen. Uns gefällt auch ihre leicht windbrechende Funktion. Wir werden dies der Fa. Thule nicht verraten, sonst erhöhen sie noch die Preise.

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Schatten: der Bereich, der hinter einem nahezu undurchsichtigen Thule Sun Blocker von der Sonne nicht getroffen wird und daher erfrischend kühl ist

„Warum werden die „schwedischen Sonnenblockierer“ erst nach mehr als einer Woche Rundfahrt durch Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern genutzt?“ fragen sich aufmerksame Leserinnen und Leser. „Mentale Vorarbeit auf den großen Moment.“ Sie braucht ihre Zeit! Nicht, dass jemand auf die fixe Idee käme, wir hätten bis dato nur Regenwetter erlebt.

Mittwoch. Reisetag. Ich erinnere an Anita Schibukat und den Circus Roncalli, der bereits bei unserem ersten Aufenthalt in Güster am Prüßsee gastierte. Anita & Co. brechen ihre Zelte ab und reisen gen Heimat. Schade, gerade hatten wir uns an das regelmäßige Bellen des weißen Wuschelhundes und die Unterhaltungen über drei Stellplätze hinweg gewöhnt.

Die eine und andere Überraschung bei der Campingplatzwahl hat uns ein Auswahlsystem für uns unbekannte Plätze finden lassen. „Unparzellierter Platz und freie Platzwahl“ klingt gut und hat so etwas von „Hauptgewinn und freie Auswahl“ wie wir sie uns gern an der Losbude auf Jahrmärkten wünschen. Wer´s mag. Wir wissen schon gern, wo und wie wir uns aufstellen können. Wir schätzen die Nachbarschaft und „den Plausch über den Gartenzaun“. Von letzterem wissen wir aber gern, wo er sich befindet. Familienfreundliche Campingplätze mit 150 Touristenstellplätzen und 450 Flächen für Dauercamper können noch so idyllisch gelegen sein, wenn der Campingplatz eine Gesamtgröße von 5,0 ha hat, dann kann man sich schnell ausrechnen, wie groß die einzelnen Stellflächen in etwa sein werden. Ein in einem Mischwald gelegener Platz kann schon die eine und andere Überraschung hinsichtlich des Aufstellens des Wohnwagens im Vergleich zum Campen auf ebenem Wiesengelände mit sich bringen. Auch wenn alle Stellplätze für Dauercamper mit einem Strom- und Wasseranschluss ausgestattet sind, bedeutet dies noch nicht, dass auch der „Tourist“ in den Genuss dieser bequemen und direkten Versorgung kommt. Ein sog. „Wohnmobilhafen“ ist bei Wohnmobilisten oft sehr beliebt und gefragt, dem Caravanreisenden, sofern dieser ihn nutzen darf, verlangt er einiges Geschick beim Rangieren ab. Vom engen Zusammenleben im Hafenbereich ganz zu schweigen. Allgemeine Ruhezeiten auf Campingplätzen sind wichtig und richtig. Entscheidend ist es für uns ebenfalls, ob unser Auto am Stellplatz geparkt werden darf oder ob wir es fern ab auf einem Sammelparkplatz abstellen müssen. Letzteres kommt für uns überhaupt nicht in Frage, da das Auto als erweiteter „Stauraum“ wichtiger Bestandteil unserer „Reisegesellschaft“ ist.

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Da hört man auf den höchsten Stufen auf einmal eine Stimme rufen: „Sieh da! Sieh da, Timotheus! Die Kraniche des Ibykus!“ (Friedrich von Schiller)

Ja, und nach welchen Kriterien suchen wir nun unsere Plätze aus? Wir „stehen auf“ rasenbewachsene Komfortplätze mit eigenem Strom-, Wasser- und Abwasseranschluss, die ein wenig beschattet in der Natur liegen und parzelliert sind. Der Campingplatz verfügt über ein modernes Sanitärgebäude und soll möglichst nicht mehr Dauer- als Touristenstellplätze haben, wobei die Schmerzgrenze für uns bei einem Verhältnis von 80:80 liegt. Unser Platz liegt nicht direkt unter Bäumen und Hunde sind an der Leine erlaubt. So einfach ist das. – Nicht immer.

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„Halt, stehenbleiben!“ Aus dem Leben einer Heidewachtel

„Auf, auf zum fröhlichen Jagen. Es ist die schönste Zeit.“ – Unsere Heidewachtel packt plötzlich das Jagdfieber. Lief sie bis eben noch frei und gelassen vor uns her, so ändert sich dies schlagartig, als Meister Lampe im Doppelpack vor uns auftaucht. Ich schaffe gerade noch das „Ne…!“, da ist das Frollein auch schon über alle Berge. Leicht können wir den über der frisch gemähten Wiese stehenden Kondenzstreifen verfolgen und wissen sofort: „Die ist erst einmal „beschäftigt“.

Nun wird es fallen, dieses so oft verwendete Wort der Hundehalter: „Eigentlich“. „Also, eigentlich macht Luna das nicht (mehr). Wir haben lange und hart gearbeitet und eigentlich gehören diese Alarmstarts der Vergangenheit an. Eigentlich hätte sie bei meinem „Nein!“ sofort gestoppt und hätte die beiden Hasen ziehen lassen.“ – Hätte, hätte, Treiberkette. Irgendwann kommt uns ein hechelnder Hund des „Fabrikats“ Kleiner Münsterländer auf dem Radweg am Elbe-Lübeck-Kanal entgegen. „Ha, sieht aus wie Luna. Ist Luna!“ Je näher sie kommt, desto kleiner wird das Frollein. Ihr Blick sagt uns: „Ja, ich weiß, es war nicht richtig, aber es musste sein. Eigentlich mache ich solche Sachen ja auch nicht (mehr). Habt Ihr mich noch lieb?“ – „Ja, haben wir. Eigentlich.“

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Das Holsten-Tor (Holstentor). Wahrzeichen der Hansestadt und kreisfreien Stadt Lübeck

Lübeck. Auf Immerwiedersehen.“ – Es ist zwar nicht dieser Slogan der Lübeck und Travemünde Marketing GmbH ist es, der uns wieder in die Hansestadt zieht, aber Lübeck einmal wiedersehen, wollen wir schon. Mein letzter Besuch (Klassenfahrt 1975) liegt nun auch bereits einige Jahrzehnte zurück und so ist es an der Zeit, einmal wieder bei den „Buddenbrooks“ vorbeizuschauen.

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Häuser an der Trave

Unserer Heidewachtel ist das städtische Getümmel nicht so recht geheuer. Als Feld, Wald & Wiesen-Spezialistin behagt ihr das an diesem Tag noch maßvolle „touristische Geschiebe“ so gar nicht. Und dann diese unzähligen Straßenlaternen, Hausecken und Brückenpfeiler, die alle „gelesen“ werden müssen. Streß pur für das Frollein. Nach zwei Stunden sitzen wir im Auto und fallen auf die freundliche Dame im Navi herein: sie leitet uns quer durch Schleswig-Holstein zurück an den Elbe-Lübeck-Kanal. Aber: man reist ja nicht um anzukommen.

Wir „brechen unsere Zelte am Prüßsee ab“ und fahren gen usA (unserem schönem Ammerland). Dabei vergessen wir nicht die „Langsamfahrstrecke“ bei Hamburg, die uns vor knapp zwei Wochen einiges an Zeit und Geduld kostete und fahren über Lauenburg und Lüneburg um die Freie und Hansestadt herum. Alles läuft bestens und selbst der seit fast 1.400 Km nicht in Erscheinung getretene „Quotendrängler“ erhält bald seine Chance.

Endlos ist die Schlange auf der linken Fahrspur der A28. Wir laufen langsam, aber sicher auf einen sehr langsam fahrenden Pferdetransporter auf und ich blinke minutenlang, um unseren beabsichtigten Spurwechsel anzukündigen. Das ist so erfolgreich, wie Milch in einem Sieb zu transportieren. – Da! Da ist sie, die größere Lücke. Ich ziehe gen Überholspur und sehe im Augenwinkel gerade noch den nun gnadenlos beschleunigen „Zorro, die Peitsche und Schützer der Überholspur.“ Im gestreckten Galopp scheint er unserem Vorhaben Einhalt gebieten zu wollen.

Der Überholvorgang ist beendet und wir rollen wieder „auf dem rechten Weg“. Nun ist er neben uns, der Mann mit der Maske. Ich sehe nur das silberfarbene Dach seines „Schlachtrosses“ mit dem er tatsächlich, abrupt einen Haken schlagend, andeutet, uns rammen zu wollen! Dann drückt er seinem „Pferd“ die Sporen in die Flanken und ist verschwunden.  Allerdings erkenne ich noch seine in Pink gekleidete Begleiterin, die sich inzwischen „angeregt“ mit dem Maskenmann unterhält.- „Selig sind, die da „geistig“ (korrekt heißt es „geistlich“) arm sind; denn das Himmelreich ist ihr.“ (Matthaeus 5,3)

Gesund und munter erreichen wir Wiefelstede. Der „schwarze Rächer“ ist längst vergessen und inzwischen steht der Big Bianco reisefertig aufgerüstet und in Wartepostion vor dem Haus. Das Auto gönnt sich einen routinemäßigen wellness-Aufenthalt beim örtlichen Opel Händler und eigentlich kann´s dann wieder losgehen!

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