Das erste Mal …

… mit dem Wohnwagen auf Reisen.

Der Fliegende Holländer liegt im Trockendock. In seinem Winterquartier in Hassel wartet er auf künftige Fahrten durch die Republik. Und ich warte auf den Frühling, dann stechen wir wieder in See. Bis dahin bleiben uns die rein zufälligen Besuche bei den Caravanhändlern. Nicht nur in der näheren Umgebung, spontan kann es uns da schon einmal nach Papenburg oder gar Warendorf treiben. Wieder einmal „schnüstern“, was in der kommenden Saison auf den Markt kommen wird.

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Unser erster eigener Wasser-/Abwasser- sowie Stromanschluss … auf einem Campingplatz

Und ich denke in diesen Tagen oft an meine erste Reise mit dem Flying Dutchman. Fußballweltmeisterschaft 2014. Endspiel in Rio de Janeiro. Die beste aller Ehefrauen sitzt beim public viewing im Gasthof unseres Vertrauens in Wiefelstede und ich rolle mit dem Home Car Racer 39 in Richtung Schleswig Holstein. Kein genaues Ziel im Sinn, nehme ich Kurs auf einen kleinen, sehr naturverbundenen Campingplatz im Naturpark Lauenburgische Seen.

Ich nutze menschenleere Straßen, Autobahnen und Ortsdurchfahrten für meine erste Über-Nacht-Ausfahrt. Rangiere hier, Bremse etwas kräftiger dort, unternehme auf riesigen Parkplätzen erste, sehr ungelenke Versuche, das Gespann rückwärts zu wenden, einzuparken und viele weitere atemberaubende Manöver, die der fußballbegeisterten Nation entgehen. Wenn die wüsste! Sie würde sich die Nase an der Scheibe platt drücken. „Verstehen Sie Spaß“ erreicht plötzlich eine ganz neue Dimension. – Ja, wenn …, aber keiner sieht´s.

Seegang. Der Fliegende Holländer liegt in schwerer See. Wir durchfahren Ortschaften und kleinere Dörfer, deren Hauptstraßen scheinbar noch von Appius Claudius Caecus, dem Baumeister der Via Appia Antica und seinen Arbeitskolonnen angelegt wurden. Im Wohnwagen wird sicherlich nichts mehr an seinem Platz stehen. Vor meinem geistigen Auge läuft ein Horrorszenario ab: rollende Tassen, Teller, Gläser, Flaschen, Dosen & Co. poltern von einer Ecke der Kajüte in die andere. Die über-Land-und-wenig-Autobahn-Jungfernfahrt führt mich über Buxtehude, Hamburg, Groß Pampau und Siebeneichen zu einer Fähre an den Elbe-Lübeck-Kanal. Mein augenblicklich verworfenes Ziel liegt am anderen Ufer und die Fähre vor Anker. Ich schaue im übertragenen Sinne in die Röhre. Wie die weit und breit nicht zu entdeckende Besatzung?

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Der Elbe-Lübeck-Kanal. 61,55 km lang und 1900 durch Kaiser Wilhelm II. eröffnet

Über die Kanalstraße und den Wiesenweg geht´s zum Güster Weg/Roseburger Straße. Mein neues Ziel: die Freizeitwelt Güster. – „Letzter Halt! Bitte alles aussteigen, die Straße endet hier.“

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Feldmaikäfer (Melolontha melolontha) auf Chevrolet Motorhaube an Wassertropfen

Ich stehe vor der Schranke zum Campingplatz am Prüßsee. So, dann mal fix angemeldet, den Fliegenden Holländer abstellen und sich häuslich niederlassen. An der Rezeption gebe ich mich couragiert als Wohnwagen-Novize zu erkennen. Kein verschmitztes Lächeln, nein, ich erhalte eine umfassende, freundliche Beratung, eine verständliche Einweisung und nützliche Informationen in und über die örtlichen Gegebenheiten. Ich fühle mich in besten Händen.

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Der Elbe-Lübeck-Kanal entstand aus Teilen des historischen Stecknitz-Delvenau-Kanals, der 1391 bis 1398 von den Lübeckern im Verlauf der Flüsse Stecknitz und Delvenau gebaut wurde. (Quelle: http://www.mein-ostseehafen.de/seegebiete/schleswig-holstein/luebecker-bucht/elbe-luebeck-kanal.html)

Überraschend schnell steht das Gespann auf einem wunderbaren Stellplatz am Elbe-Lübeck-Kanal. Ich ahne nicht, dass ich in den kommenden Monaten noch oft hier stehen werde. Meine ersten Ängste, den Racer 39 allein in Stellung zu bringen, zerstreuen sich schon nach wenigen Minuten. Alles klappt wie am Schnürchen und der prüfende Blick auf die Wasserwaage sagt mir: „Ronald, Du bist ein Held. Der Fliegende Holländer steht wie eine Eins!“ [„Sich selbst zu loben, ziemt sich nicht, aber es schadet nichts.“ Jüdisches Sprichwort]

Wir sind die einzigen Gäste auf den Touristenplätzen. Die Dauercamper wärmen sich bereits sportiv auf. Sat-Schüsseln werden ein letztes Mal ausgerichtet, Holzkohlegrills aufmunitioniert, Grillgut vorbereitet, Flaschenöffner bereit gelegt und sicherlich warten schon diverse gekühlte Erfrischungsgetränke auf ihren sportlichen Einsatz. Fangesänge werden hier und da angestimmt. Erste Druckluftfanfaren schallen bereits schüchtern in der Ferne.

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Intelligent, temperamentvoll, aufmerksam, menschenfreundlich, folgsam und eine gute soziale Bindung. Sehr ausgeprägtes Beuteverhalten, liebt viel Bewegung, kann in den unterschiedlichsten Geländeformen jagen, eignet sich als Vorstehhund ebenso wie zum Apportieren und für die Wasserjagd. Apropos Wasserjagd …

Luna! Ich habe doch das Frollein dabei! Wo ist die Kleine Münsterländerin? Ich rufe nach ihr. Ich suche hier, ich suche da, schaue hinter die Hecken und finde sie schließlich tief entspannt im Wohnwagen unter dem Bett liegend. Sie hat ihren Platz gefunden. An dieser Stelle will ich nicht verschweigen, dass ich die Präposition „unter“ bald gegen das Umstandswort „im“ tauschen muss.

Wenn schon, denn schon. – Mit dem Erwerb des Wohnwagens wurden natürlich auch die unentbehrlichen Klappräder angeschafft. Erst einmal „gebraucht“, wie seinerzeit der Fliegende Holländer. Man weiß ja nicht, ob´s gefällt. Luna und ich erkunden das Terrain. Wie bereits während unserer Anreise, ergeht es uns auch jetzt: kein Mensch in Sicht. Hören können wir sie, aber zu sehen ist niemand. Ich fühle mich ein wenig wie Robert Neville (Charlton Heston), der Omega-Mann aus dem gleichnamigen Science-Fiction-Film aus den 1970er Jahren: ganz allein auf dieser Welt.

Im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro scheinen die Mannschaften auf dem Platz zu sein. Ohrenbetäubende Begeisterung dröhnt über die Freizeitwelt. Die Uhr tickt. Irgendwann zeigt sie die 113. Spielminute. Sergio Romero spekuliert auf einen Schuss in das kurze Eck, aber Mario Götze schießt per Drehschuss mit dem linken Fuß ins lange Eck des argentinischen Tores. Den Rest kennen alle Fußballbegeisterten in- und auswendig.

Die erste Nacht im Wohnwagen. Ja, der gute Barry Manilow und sein „Raindrops keep falling on my head“. “Raindrops are falling on my caravan.“ Der erste Regen während der ersten Übernachtung auf unserer ersten Fernreise. Mensch, was willst Du mehr? Noch heute denke ich bei Regenschauern an unseren Ausflug an den Prüßsee.

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Oh, wie haben wir den WM-Sieg gefeiert …

Wir haben bestens geschlafen, einen klaren Kopf und sind bereit zu neuen Taten. Wir drehen eine Runde am Kanal. Eher ist es ein hin und zurück am Kanal, denn die nächste Brücke ist ca. 11 Kilometer von uns entfernt. Und das geht heute morgen gar nicht. Die frischen Brötchen warten!

Der Regen ist abgezogen und unerwartet bekommen wir Besuch. Eine Hamburger Deern und ihr Buttjer sind neugierig. Auch sie ist mit einem Home Car Racer unterwegs. Allerdings hat dieser noch vier Jahre mehr auf der Achse als der meinige, erfahre ich. Und sie würde doch zu gern einmal das Interieur des Flying Dutchman begutachten. Der Dame kann geholfen werden.

Intelligent, temperamentvoll, aufmerksam, menschenfreundlich, folgsam und eine gute soziale Bindung. Sehr ausgeprägtes Beuteverhalten, liebt viel Bewegung, kann in den unterschiedlichsten Geländeformen jagen, eignet sich als Vorstehhund ebenso wie zum Apportieren und für die Wasserjagd. Apropos unterschiedliche Geländeformen …

Luna und ich ziehen weiter. 33 Jahre beim führenden Sicherheit produzierenden Unternehmen der Bundesrepublik Deutschland, ich meine die Bundeswehr, haben mich an den unterschiedlichsten Orten, Plätzen und Ecken nächtigen lassen. „Caravaning“ ist seit dieser Nacht eine völlig neue Erfahrung. Das Frollein und ich werden sich damit anfreunden können. Und wie wir heute wissen, die beste aller Ehefrauen auch.