Allgemeine Grundausbildung 1977 – Teil II

Nachdem ich mich, angeregt durch zwei „Bundeswehr Lebensläufe“, die ich im Internet fand, an meine Grundausbildung im Luftwaffenausbildungsregiment 5 (LwAusbRgt 5) in Goslar erinnerte, fallen mir immer weitere Begebenheiten ein, die ich auf dem ehemaligen Fliegerhorst, in der erweiterten Nachbarschaft zur Kaiserpfalz am Fuße des Rammelsbergs, erlebte. Es war nicht immer amüsant.

img_0001
Damals noch als Schmuckblatt mit Deckblatt, persönlicher Unterschrift, Dienstsiegel und Kordel. Und nicht wie heute „Maschinell erstellter Bescheid. Ohne Unterschrift gültig.“

Vielleicht eine Geschichte? Oder zwei? – Der bereits in meiner letzten „Erlebniserzählung“ erwähnte  Obergefreite UA (Unteroffizieranwärter) und Hilfsausbilder, der selbst seine Grundausbildung in der benachbarten 10. Kompanie und den anschließenden Unteroffizierlehrgang zum 30. Juni 1977 abgeschlossen hatte, führte unsere Kompanie über den Fliegerhorst. – Vielleicht wirft sich die Frage auf, wie kann ein Soldat, der im Sommer 1977 erst ein halbes Jahr bei der Bundeswehr dient, als OGefr UA auftreten? Er war ein Eignungsübender (unter Vorbehalt verpflichteter Soldat auf Zeit (SaZ)), der auf Grund seiner beruflichen Vorbildung und weiterer Kriterien, die er erfüllen musste, bereits im höheren Dienstgrad eingestellt worden war. Wir nannten diese Kameraden auch „Neckermannobergefreite“. – Eben dieser Obergefreite führte nun die beiden Züge der 9. Kompanie durch die militärisch umschlossene Anlage. Oft war es ihm in den Sinn gekommen, uns wegen Nichtigkeiten „in die Botanik zu schicken“: „9. Kompanie! Achtung! Nach hinten wegtreten! Marsch! Marsch!“ Irgendwann wurde ihm dieses „Manöver“ zu langweilig und er befahl: „9. Kompanie! Ein Lied!“ Ich kürze nun das militärisch-formaldienstlich erforderliche Procedere ab und „übergebe“ die 9. Kompanie, inzwischen singend, an die geneigten Leserinnen und Leser. „Goldtransport“ lautete der uns befohlene Titel des Liedes. Marsch und Gesang stellten und stellen hohe Anforderungen an die formaldienstliche Disziplin der Truppe. Wir waren inzwischen nicht nur ausgebildete Rekruten und Sangesbrüder, wir waren ebenfalls in der Lage und willens, dem Lied auch ohne Instrumentalbegleitung den richtigen Sound zu verleihen. Die Rotten (milit., Reihen in dreigliedriger Antreteordnung) eins bis sechs, also immerhin 18 Soldaten, agierten dabei als die nicht vorhandene Militärmusikkapelle. Weit und breit kein Vorgesetzter in Sicht, der Obergefreite allein auf weiter Flur mit über 130 Soldaten, die sich gerade einstimmten, ihm hier und jetzt für seine zuvorkommende Behandlung der vergangenen Wochen ein Ständchen zu bringen. Der arme Kerl wurde wahnsinnig! Wir „überhörten“ seine Kommandos, schwenkten in Formation und musikalisch beschwingt in Richtung Kompaniegebäude, stoppten in Hörweite zur „9ten“ abrupt die Musikkapelle und den Gesang und marschierten tadellos und „fromm“ zum nur noch gehauchten „links, zwo, drei, vier“ und einem den Tränen nahen Hilfsausbilder zur Unterkunft. „Abteilung halt! Links um! Rührt Euch!“ führten wir eigenständig aus, denn der Obergefreite hatte das Gebäude bereits vor uns aufgesucht. – Er ging aber nicht petzen!

Und dann war da der Stabsunteroffizier Donald X. Vollbärtig, bärbeißig, grantig, düster und uns Rekruten gegenüber an sieben Tagen der Woche missmutig „aufgelegt“. Sein „ganz besonderer Freund“ war Flieger (Flg) T. Immer fand er einen Grund, dem ebenso muskulösen wie pfiffigen Kameraden „eins auszuwischen“. Dann war die Runde an T.: dem „Grantler“ war sein Armband in den Abfluss des Waschraums in der 1. Etage gefallen. Zu blasiert, es persönlich zu retten und bergen, übertrug er diese Aufgabe an den Flg T. und verließ den Raum. Ruckzuck war der Bodenablauf geöffnet, das Armband fand sich im integrierten Geruchsverschluss. T. hob es an, hielt es über den nun offen liegenden Abfluss, ließ es hineinfallen und meinte: „Schade, aber das Teil hat er bestimmt gemeint.“ Zur Sicherheit goss er noch einen Eimer Wasser hinterher.

Warum das alles? Vielleicht, weil es nicht angebracht war, uns seitens des Stammpersonals wie „dumme Gören“ zu gängeln? „Drehen Sie das Gesicht zur Wand. Sie sind müde! Sie schlafen!“ hieß es, wenn beim abendlichen Abmelden der Stuben, sich die Soldaten in den Betten nicht schlafend stellten. War es erforderlich, die unteren Enden der Tisch- und Stuhlbeine mit einem Messer abzuschaben und wegen des unweigerlich herabfallenden Schmutzes Nachdienste anzusetzen? Mussten außen liegende Fensterrahmen zum Mauerwerk hin auf Verschmutzungen überprüft werden? Mussten Spinde zur Wand gekippt werden und nachdem ein weiterer Ausbilder gegen die Sockelleiste trat, ein Nachreinigen angesetzt werden, weil sich „immer noch Dreck unter den Spinden befand“? Mussten Trainingsanzüge „auf links gezogen werden“ und die in den Nähten der Ärmel und Hosenbeine vorgefundenen „Wollmäuse“ Anlass zu üblen Schimpftiraden geben?

Die Kleiderstangen in den Spinden waren aus Metall. Schob man die Bekleidung samt Kleiderbügel einmal kräftig von links nach rechts, dann färbte die Kleiderstange trotz vorheriger Reinigung die prüfenden Zeige- und Mittelfinger des Ausbilders schwarz. Unvermeidbar. Rot wurden diese hingegen, wenn man zuvor mit einem Messer eine Scharte in die Kleiderstange schlug. – Habe ich mir berichten lassen.

Das Waffenreinigen am Donnerstag erforderte grundsätzlich eine zweite, wenn nicht sogar dritte Vorstellung des Gewehrs G3, das wir von Montag bis Donnerstag in unserem Bekleidungsspind zu verwahren hatten. Also ging man das erste Mal nach angemessener Wartezeit und mit der noch nicht gereinigten Waffe los und nutzte den so gewonnenen Freiraum zuvor für einen „Plausch unter Kameraden“. Stiller(!) Jubel brach jedes Mal aus, wenn der „rohe“ Pflegezustand des Gewehres dann bereits bei der ersten Vorstellung akzeptiert wurde.

img_0002
Maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig

„Die Allgemeine Grundausbildung ist eine Zeit, durch die musst Du durch.“ So die Worte meines Schulfreundes Ingo, der Goslar drei Monate vor mir „überlebt“ hatte. Ich breche auch heute nicht in Jubel aus, denke ich an die Zeit in der 9. Kompanie zurück, aber auch ich überlebte die „Grundi“ und bin heute, nach 33 Jahren Dienst in der Bundeswehr, inzwischen „Ruhestandsbeamter im sechsten Ausbildungsjahr“. – „Nur wer Menschen liebt, kann Menschen führen!“

img_0013
Die Presse schwieg am 31. Mai 2010 zum Ende meiner Dienstzeit  😉  Dafür standen Ende Mai 2010 Lena Meyer-Landrut und ihr Hit „Satellite“ im Mittelpunkt

2 Kommentare

  1. Lieber Herr Stock,
    wie immer sehr amüsant und fesselnd geschrieben!
    Wobei ich sagen muß, dass meine Erinnerung an die Grundausbildung angenehmer waren. Ich war beim 11.LwAusbRgt1 in Hamburg.
    Schöne Grüße vom Niederrhein
    Thomas Buchenauer

    1. Hallo Herr Buchenauer,
      wie schön, von Ihnen zu hören! Vielen Dank für Ihren Kommentar zu „meiner Grundi“. Ich „vergangenheitsbewältige“ z. Zt. einige „Erlebnisse und Heimsuchungen“ aus meiner aktiven Zeit. Wenn es mir zu oft „über die Bettdecke läuft“, dann hilft mir das „von der Seele schreiben“.
      Die Lettow-Vorbeck-Kaserne (Hamburg) kenne ich noch aus meiner Zeit als „Erkunder und Aufklärer“ (Stellungserkundung und -vermessung) bei der Flugabwehrraketentruppe. In Hamburg war schon immer alles anders (und schöner).
      Viele Grüße aus usA (unser schönes Ammerland) an den Niederrhein sendet Ihnen
      Ronald Stock

Kommentare sind geschlossen.